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Editorial Sommer 2005
„Mama, warum kann ich meine Freundin nicht mitnehmen?“ Meine Tochter Louisa (4) verstand schnell. Auch ich fragte das, als wir das Schiff verließen. „Warum kann ich meine Freunde nicht mitnehmen?“ Nicht, dass ich das weniger verstehen würde als mein Kind. Aber was der Verstand sagt, hat mit dem Herzen oft nichts zu tun. Die tränenreichen Abschiedsszenen auf dem Schiff haben jeden Hollywoodfilm in den Schatten gestellt. „Das ist nicht wie im wirklichen Leben“, erklärte Hille vom Casino auf der Astor. „Man findet Freunde, geht ein Stück zusammen und trennt sich wieder.“ Die Freundin zieht um, da Studium ist zu Ende, man wechselt den Arbeitsplatz. Immer wieder Abschied. Die Kinder sind erwachsen, Paare lassen sich scheiden, Menschen sterben. Immer wieder Abschied. Man besucht Familie, verlässt einen Teil, um einen anderen zu sehen, kommt wieder zurück. Immer wieder Abschied.
Und ich bin fünf Monate mit einem Schiff gefahren. Habe Freunde gefunden, mit ihnen viele Länder besucht und Shows erlebt, lange Gespräche geführt und Partys gefeiert, ihre Geschichten gehört und ihre Sehnsüchte geteilt, 24 Stunden am Tag, auf engstem Raum. Oft tagelang nur von Wasser umgeben, über 4000 m unter uns und tausende Kilometer um uns herum. Intensiver und enger habe ich andere Menschen noch nie erlebt. Und dann: Abschied.
Die Vorsätze sind groß: telefonieren, besuchen, E- Mails. Doch die See-Erfahrenen sind ehrlich und schütteln den Kopf. „Eine Beziehung ist wie ein Buch. Man schlägt es auf, sammelt schöne Bilder darin und schlägt es wieder zu.“
Schon klar. Man kann nicht alle Freunde sein Leben lang behalten. Wie viele hätte man da: 200, 300? Freundschaften muss man pflegen, sich schreiben, sich treffen. Unrealistisch, wenn auf einem Schiff Menschen aus 28 Nationen zusammenkommen, viele in der Hotel- und Restaurantbranche arbeiten, ihr Leben der Seefahrt gewidmet haben oder Mitpassagiere in Südafrika, Australien oder Argentinien leben.
„Wichtig ist, dass du das Buch trotzdem behältst. Stell es zu deinen anderen Erinnerungen ins Regal.“ Eine schöne Vorstellung. Und wenn wir alt sind, holen wir die Bücher wieder heraus und freuen uns daran. Schön. Schön traurig. Aber darum leben wir. Deshalb die vielen Fotos und Notizen. Damit wir nicht vergessen.
Nd außerdem: Hin und wieder gibt es Fortsetzungsromane. Es liegt nu daran, wie fleißig wir als Schriftsteller unseres Lebens sind und ob wir uns für eine Fortsetzung oder doch lieber für ein neues Romanthema entscheiden.
Hauptsache, Ihr Bücherregal bleibt nicht leer!
Herzlichst Ihre Anja K. Fließbach