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Editorial Sommer 2016

Werden die jungen Leute faul? Manchmal versteht man doch die Arbeitswelt nicht mehr! Unsere 15-jährigen Schülerpraktikanten dieses Jahr waren super. Engagiert, hoch motiviert, fleißig und haben schnell und effektiv gearbeitet. Unverschnörkelt! Frei!

Im Gegensatz dazu die jungen Leute, die nach dem Studium oder ein paar Jahre danach zu uns kommen - die sind verwandelt. Die meisten kommen mit Forderungen, über die man staunt. Mit realitätsfernen Ideen, wie Arbeit funktioniert. Mit einem Selbstbewusstsein, dass ihre theoretischen Abschlüsse sie zum König der Arbeitswelt machen würden. Und oft tut es mir Leid, dass ich ihnen klar machen muss, dass sie, wenn sie einen Job beginnen, sich von Null neu beweisen müssen. Dass im Job Tagesergebnisse zählen, es um Fleiß und Abarbeiten von Aufgaben geht. Dass Arbeit Arbeit ist.

Die Schülerpraktikanten aus den 9. Klassen hätte ich alle übernommen. Zu schade, dass sie noch drei Jahre in die Schule und dann zum Studium gehen werden. Jetzt wären sie bereit. Aber die meisten Bildungs- und Berufswege sind komplett falsch angelegt. Und vorallem wird den jungen Leuten die Zukunft falsch dargestellt.

Bei meiner Tochter am Gymnasium machen die Lehrer Druck, dass die Kinder super Zensuren brauchten, weil sie sonst keinen Job finden würden. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Louisa war auch zum Schülerpraktikum beim Fernsehen. In der zweiten Woche hat sie ganz allein einen Dreh übernommen, weil die Profi-Redakteurin ausgefallen ist. Louisa hat Kamerafrau, Tontechniker und Redakteur mit Mikrofon ganz allein ersetzt. Sie hat Händler und Passanten interviewt und sich vom Taschengeld eine Karte für das Riesenrad gekauft, damit sie Aufnahmen von oben filmen kann. Und obwohl wir mit ihr am Nachmittag zur Ostsee fahren wollten, hat sie uns - die ganze Familie - warten lassen, weil sie ihren Beitrag noch ordentlich abschließen wollte. „Wenn ich da arbeite, will ich das auch richtig gut machen“, erklärte die 15-Jährige.

Es braucht also weder Diplome, noch super Zensuren. Es braucht Arbeitswillen, Fleiß, Verantwortungsbewusstsein, Selbstdisziplin und Selbstorganisation. Das klingt aus der letzten Shell-Studie leider anders. Die älteren Jugendlichen hätten heute sowohl hohe Bildungs- und Berufserwartungen als auch hohe Ansprüche an ihre Arbeitgeber. Der Beruf soll interessant sein. Über 90 Prozent meinen, dass Familie und Kinder gegenüber der Arbeit nicht zu kurz kommen dürfen. Für rund vier Fünftel der Jugendlichen ist es wichtig, dass sie ihre Arbeitszeit kurzfristig an ihre Bedürfnisse anpassen können. Drei Viertel möchten in Teilzeit arbeiten können, sobald sie Kinder haben. Karriereorientierung steht hinter der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben zurück. Junge Frauen wären dabei noch fordernder als Männer. Hä? Wo kommen diese Flausen her? Wer hat ihnen so ein Bild vermittelt und wie hart soll die Realtität diese jungen Menschen treffen?

Ein Beispiel von einem unserer Volontäre. Seine Aufgaben: Mercedes-Autotest für vier Tage, Report über Essen im Sternerestaurant, kostenlose Stadtführungen, Kurztripp mit dem Flugzeug nach Amsterdam, drei Tage ITB und bei einem unserer Events hat er eine Bang & Olufsen-Anlage gewonnen. Nicht schlecht für die ersten Wochen im Job. Andere würden sich so ihre Freizeit wünschen. Und dann? Als der Redaktionsschluss kam und Fleiß und Schreibtempo gefragt waren - kam der Krankenschein.

 

Versuchen wir, unseren Kindern Werte zu vermitteln, die Selbstverwirklichung mit gesellschaftlichen Normen und Anforderungen kombinieren!

 

Herzlichst!

 

Ihre Anja K. Fließbach