- November 10, 2022
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Ein Dresdner erobert die Bestseller-Listen
Wenn man die Bestseller des Dresdners Frank Goldammer liest, kann einem schon mal der ein oder andere Schauer über den Rücken laufen. In seinen Kriminalromanen beschäftigt er sich mit grausamen Verbrechen zu Nachkriegszeiten. Ob Goldammer selber eine hauchschwarze Seele hat, können Sie im Interview mit der Disy nachlesen.
Du schreibst erfolgreich erschreckend gruselige Krimis. Muss man Angst vor Dir haben?
Goldammer: Ich denke nicht. Ich habe mich auch schon mit Fitzek und anderen Krimibuchautoren unterhalten, die teilweise noch viel schlimmere Bücher schreiben. Das sind alles ganz normale Leute. Das Schreiben ist auch nur ein Job. Man könnte ja auch einen Unfallchirurgen fragen, der ständig Unfallopfer sieht, warum er sich das immer wieder antut.
Kann jeder auf diese gruselige Art und Weise denken?
Goldammer: Nein! Aber anscheinend haben viele das Bedürfnis, darüber zu lesen oder etwas zu sehen. Es gibt so viele Krimis und Mordserien. Ich frage mich, was die Leute haben. Ständig muss jemand umgebracht werden.
Hast Du eine Erklärung dafür?
Goldammer: Man fragt sich vielleicht, wie es sich anfühlt, jemanden umzulegen. Den ein oder anderen beschäftigt aber vielleicht auch, wie es ist, wenn man selber umgelegt wird. Vielleicht ist es das, was in den Leuten drinsteckt. Aber die meisten Menschen sind auch viel leichter zu beeindrucken als ich. Wenn ich mir einen Tatort in der ARD anschaue, denke ich oft, was für ein Mist, wie „langweilig“. Manche Dinge sind so klischeehaft. Und wenn einer tot daliegt, gruselt mich das überhaupt nicht. Bei mir muss mehr kommen, damit ich emotional berührt bin.
Vielleicht bist Du schon ein bisschen abgehärtet…
Goldammer: Aber das hat nichts damit zu tun, welche Bücher ich schreibe.
Was bedeutet Dir das Schreiben?
Goldammer: Alles! Das ist bei mir schon zwanghaft. Ich mache mein ganzes Leben daran fest. Wenn mein Verlag mich jetzt anriefe und sagen würde, sie würden nicht mehr mit mir arbeiten wollen, würde eine Welt für mich zusammenbrechen.
Was ist der Suchtfaktor beim Schreiben?
Goldammer: Wenn ich das wüsste. Es macht mir nicht mal immer Spaß, sondern ist oft viel Arbeit und Quälerei. Ich brauche aber einfach etwas, um zu sagen ‚Hier bin ich.´ Außerdem brauche ich den Progress. Ich sehe viele, die bis zu einem mittelständigen Verlag gekommen sind und nicht weiter. Die sind fröhlich und freuen sich mit ihren 1000 verkauften Büchern. Bei mir löst das eine Mischung aus Neid und vollkommenem Unverständnis aus, ich kann nie zufrieden sein.
Wann hast Du angefangen zu schreiben?
Goldammer: Mit 20 Jahren. Das war damals in der Wendezeit und ich wusste überhaupt nicht, welchen Beruf ich ergreifen soll. Ich habe zunächst bei meinem Vater angefangen, der damals schon einen Malerbetrieb hatte. Meine Mutter hat mir ihre elektrische Schreibmaschine geschenkt. Da habe ich ein Blatt reingeschraubt und angefangen zu tippen. Seit diesem Tag schreibe ich.
Hast Du sofort ganze Bücher geschrieben?
Goldammer: Ja, ich habe sofort richtige Wälzer hingelegt. Am Anfang war aber schon schöner Murks dabei. Das erste war so eine krasse Fantasy-Geschichte mit Zeitreisen. Total irre. Dann habe ich mich mit einem Exposé bei ein paar Verlagen beworben. Da wusste ich noch nicht, dass das 80 Millionen Deutsche auch machen.
Bei den Verlagen hattest Du also keinen Erfolg. Was war Dein nächster Schritt?
Goldammer: Ich habe meine Bücher dann erstmal selbst verlegt und 500 Bücher zum Haus des Buches bringen dürfen. Das war mein Startschuss. Ich konnte immer gerade so viele Bücher verkaufen, um das nächste Projekt zu finanzieren.
Als unbekannter Autor 500 Bücher zu verkaufen, ist eigentlich unmöglich. Hast Du gar nichts dafür gemacht?
Goldammer: Ich habe immer den Leuten davon erzählt, die mir weiterhelfen konnten. Es war ein langer Prozess.
Der dtv-Verlag war Deine nächste Adresse?
Goldammer: Thalia tat sich später schwer Bücher von Kleinst- und Selbstverleger zu verkaufen. Dadurch ist mir dieser Vertriebswegs weggebrochen. Ich war dann erst bei einem kleinen und einem mittelständigen Verlag. Immer, wenn ich gedacht habe, jetzt sei es vorbei, ging es doch irgendwie weiter. Ich war gar nicht dabei, als eine Bekannte dann auf einer Messe zu dtv gelaufen ist, um mich vorzuschlagen.
Du verdankst ihr also den Sprung, an dem so viele scheitern…
Goldammer: Ich habe ihr den Kontakt zu verdanken, das stimmt. Das Buch habe ich letztendlich aber selber geschrieben. Meine Lektorin sagt immer, wenn ich nicht geliefert hätte, dann hätte ich auch nichts davon gehabt. Du kannst auch bei einem großen Fußballverein anfangen, wenn Du dann aber nicht spielen kannst, bist Du nach dem ersten Probetraining wieder draußen. Aber natürlich bin ich dieser Bekannten sehr dankbar.
Schreibst Du einfach drauf los?
Goldammer: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht mal bei einem Thriller oder einer Satire. Aber für einen richtigen Krimi mache ich mir ein Konzept und orientiere mich daran. Dann ist das gar nicht mehr so kompliziert. Wie ein Luftballon, den man aufblasen muss, damit es zu einem Roman wird.
Viele leben mit ihren Figuren, die sich ständig entwickeln. Ist das bei Dir ähnlich oder ist schreiben bei Dir eher Technik?
Goldammer: Solche Personen gibt es auch bei mir. Manchmal braucht man jemanden nur, damit er etwas Bestimmtes sagt und dann bleibt die Figur plötzlich an Dir dran und Du nimmst sie mit, bis sie zu einer Rolle wird. Das kann man gar nicht richtig beschreiben. Man muss natürlich aufpassen, dass die Hauptcharaktere gleichbleiben.
Sonst wird es unglaubwürdig…
Goldammer: Genau. Ich habe aber auch schon Roman-Konzepte komplett umgeworfen. Manchmal ergibt sich beim Schreiben etwas, als wäre es schon von Anfang an so geplant gewesen.
Denkst Du ständig an Deine Romane und vergisst manchmal die Realität?
Goldammer: Manchmal denke ich überhaupt nicht daran, obwohl ich es vielleicht müsste und manchmal kommt es von ganz alleine. Teilweise muss ich mich auch dazu zwingen. Ich fahre viel mit dem Transporter durch die Gegend und muss die Baustellen beliefern, dann denke ich viel daran. Oder wenn ich eine eintönige Arbeit habe. Dann löst sich ein Knoten. Wenn ich aber wirklich mal eine Blockade habe, sind das vielmehr technische Fragen. Dann steht im Konzept etwas und ich weiß nicht, wie ich es schreiben soll. Das sind aber immer bloß ein paar Minuten und dann geht es wieder.
Hast Du ein Vorbild in der Literatur?
Goldammer: Nein, aber wenn ich nicht gerade Fachliteratur für meine Recherche wälze, lese ich zum Beispiel Hemingway. Das ist ein Autor, der so super erzählt, dass man das Gefühl hat, dabei zu sein. Oder John Irving mit ,Gottes Werk und Teufels Beitrag.´ Aber auch Strittmatter oder Kästner, unseren Dresdner Helden.
Kannst Du noch unbefangen andere Bücher lesen?
Goldammer: Es fällt mir schwer. Ich lese nur noch analytisch. Ich schlage kein Buch mehr zur Unterhaltung auf. Wenn ich anfange zu lesen, ärgere ich mich darüber, wie gut die Idee ist oder hinterfrage das Geschehen. Ich kann mich nicht mehr in fremde Bücher fallenlassen. Und ich habe auch einfach nicht die Zeit dazu.
Kein Wunder, Du machst wirklich viel. Du hast Kinder, Du bist Buchautor und die Firma mit Deinem Vater. Hast Du überhaupt noch Zeit für Dich?
Goldammer: Das Schreiben ist Zeit für mich. Etwas anderes gibt es nicht mehr. Wenn ich Leute kennenlerne, finden die mich am Anfang interessant. Dann stellen sie aber fest, dass ich wirklich jeden Abend in mein kleines Zimmer gehe und schreibe. Ich bin ungehalten, wenn das nicht so ist. Ich kann mich natürlich mäßigen, aber wenn ich aus irgendeinem Grund nicht zum Schreiben komme, dann stinkt mich das richtig an. Unerwarteten Besuch kann ich überhaupt nicht leiden, den gibt es auch schon lange nicht mehr. Mein Freundeskreis hat sich ausgedünnt. Aber ich kenne ja mittlerweile auch massenhaft Leute, die so ticken.
Vielleicht gehört diese Art dazu, wenn man Erfolg haben will.
Goldammer: Das glaube ich auch. Wer wirklich irgendwas erreichen will, sei es als Sänger, Schauspieler oder Schriftsteller, der muss einfach bekloppt sein. Sportler sind ja auch nicht anders und trainieren von ihrem sechsten Lebensjahr an jedem Tag.
Wo möchtest Du in zehn Jahren sein?
Goldammer: Territorial immer noch dort, wo ich jetzt bin – in Dresden Zschachwitz. Ansonsten wünsche ich mir nur, länger oben auf der Bestsellerliste zu stehen. Ich möchte in Lesungen sitzen und mich mit meinem sächsischen Dialekt durchwurschteln. Außerdem fände ich es gut, ein bisschen mehr Gehör für die DDR-Thematik zu bekommen. Daran arbeite ich gerade intensiv, nächstes Jahr erscheint ein Roman dazu. Ich hatte schon einige Radiosendungen und Lesungen drüben zu dem Thema und habe festgestellt, das großes Interesse besteht. Die Aufarbeitung fehlt.
Was hast Du vom Leben gelernt?
Goldammer: Wenn Du etwas willst, musst Du es einfach durchziehen. Und Du musst alles wegstecken. Viele Handwerker-Kollegen haben sich zwanzig Jahre lang über mich lustig gemacht. Auch einige der Verleger, die mich am Anfang abgelehnt haben, waren richtig gemein und haben zu mir gesagt, ich solle mit dem Schreiben aufhören. Es gibt noch immer solche Momente, auch heute noch, wenn ein Projekt abgelehnt wird. Tiefpunkte muss man aushalten und bei Höhepunkten darf man nicht abheben. Man muss versuchen, einen Mittelweg zu finden. Wenn du abhebst, kommt der Absturz schnell. Meine Devise ist – mit den Füßen auf dem Boden freundlich zu bleiben. Zu allen, auch zu denen, die unfreundlich waren.