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Dr. Christian Kurtzke: Ich will verdoppeln

Dr. Christian Kurtzke, ehemaliger Geschäftsführer der Porzellanmanufaktur Meissen, im Interview:

 

Bevor Sie angefangen haben, hat Meissen 23 Millionen Euro Verlust nach Steuern geschrieben. Nachdem Sie ein Jahr dabei waren, 2009, betrug der Verlust nur noch 6 Millionen. Im letzten Jahr 2011 haben Sie es geschafft, ein Plus von 1,5 Millionen Euro zu erwirtschaften.
Dr. Kurtzke: Wir hatten Glück nach der Wende. Wir sind das Gegenstück zum KaDeWe. Nach dem Mauerfall sind alle aus dem Osten ins KaDeWe, aber die Wessies sind zu uns gerannt. Jeder wollte Meissner Porzellan. Das ist gut und schlecht zugleich, Fluch und Segen zugleich. Weil man dann profitiert und glaubt, man ist der Gewinner. Aber wenn man glaubt, man ist der Gewinner, vergisst man leicht, ans Morgen zu denken. So sind wir von über 40 Millionen 2010 runter auf auf 34 Millionen 2008. Das muss man sich mal überlegen. Das kann normalerweise gar kein Unternehmen verkraften. Dann kam die Finanzkrise. Ich bin angetreten und wusste, ich muss massive Änderungen vornehmen. Da sind die Wettbewerber knapp zwanzig Prozent eingebrochen. Wir sind nahezu stabil geblieben. 2010 sind die Zahlen bei den Wettbewerbern wieder um 15 bis 16 Prozent gesunken und wir sind zweistellig gewachsen.

Und Sie sind besonders stolz darauf, im deutschen Markt zweistellig gewachsen zu sein. 
Dr. Kurtzke: Das war das Wichtigste. Ich bin der festen Überzeugung, dass man nur dann stark in der Welt sein kann, wenn man zu Hause stark ist. Das ist genau das Gegenteil von dem, was alle anderen erzählt haben. Die anderen hatten voraus gesagt, man könne den deutschen Markt nicht mehr retten. Alle Mann nach Asien! Jetzt heißt es: Alle Mann nach China! Jetzt sehen viele Mexiko, Brasilien usw. als die neuen Märkte. Alle rennen nur den Wachstumsmärkten hinterher. Ich weiß, dass ich das alles machen muss. Internationalisierung ist wichtig. Aber ich muss auch zu Hause erfolgreich sein. Deshalb war mir das Wachstum im Heimatmarkt so wichtig.

Viele finden es ungewöhnlich, dass Meissen sich im Moment so auf den Sektor Schmuck verlagert. Wie wichtig ist dieser Teil für Sie? 
Dr. Kurtzke: Der Schmuck ist für Meissen überlebenswichtig. Oberstes Ziel ist es, Arbeitsplätze abzusichern. Ohne Schmuck als Geschäft wären wir schon in sehr viel schwierigeren Situationen gewesen. Wir haben es 2011 gesehen, als uns Japan, einer der wichtigsten Auslands-Märkte, wegen Fukushima weggebrochen ist. Wir machen über 30 Prozent vom Gesamtumsatz in Asien. Ich kann nicht über Nacht einen neuen Porzellan- Markt aus dem Hut zaubern. Deshalb ist es wichtig, auf vielen Säulen zu stehen. Interessanterweise ist der Schmuckmarkt in Japan durch die Umweltkatastrophe nicht weggebrochen, sondern wächst weiter zweistellig. Aber das Porzellan ist komplett eingebrochen. Ich glaube, dass wir im letzten Jahr hoch verlustbehaftet gewesen wären, wenn der Schmuck das nicht zum Großteil aufgefangen hätte. Deshalb setzen wir auch in Zukunft auf den Schmuck. 

Aber gibt es nicht schon genug erfolgreiche Schmuckunternehmen? 
Dr. Kurtzke: Luxusunternehmen im Schmuckbereich sind heute Konzerne, die Milliarden machen. Milliarden machen sie nur dann, wenn sie 100.000 Stück produzieren. Das ist genau die Zeit, in der eine Manufaktur, die das Individuelle, das Einzigartige zelebriert, die Handwerkskunst hochhält, wirklich herausragt. 

Was kostet der Schmuck bei Ihnen? 
Dr. Kurtzke: Ich mache Ihnen einen ganz tollen Preis. 

Was ist das preiswerteste Schmuckstück bei Ihnen?
Dr. Kurtzke: Der Mops kostet 780 Euro. Das ist unser Einstiegssegment. Ein Blütenring kostet rund 950 Euro, liegt also durchaus im erschwinglichen Segment. Dann sind nach oben natürlich keine Grenzen gesetzt. Wenn ich in einen Markt wie China mit einem Schmuckstück für 900 Euro komme, dann komme ich gar nicht rein. Bei 10.000 bis 100.000 fangen die an, über seriösen Schmuck zu reden. Der muss natürlich auch die Qualität haben. Insofern sind unsere Colliers sicherlich größere Investitionen. 

Die liegen also im sechsstelligen Bereich? 
Dr. Kurtzke: Ja. Definitiv. 

Wer entwirft den Schmuck? Wird das hier in Meißen gemacht? 
Dr. Kurtzke: Das ist ein Team, das ganz stark durch Ornella Pasquetti geführt wird, einer Schmuckdesignerin in Mailand. Sie hat für die drei besten Schmuckmarken der Welt Schmuckstücke kreiert, ist eine gute Freundin geworden und hat Lust, die Marke Meissen wieder in die Welt zu führen. 

Wird der Schmuck auch in Mailand produziert? 
Dr. Kurtzke: Wir haben zwei Produktionsstätten. In Deutschland wird alles, was Porzellan betrifft, produziert. Die zweite ist Meissen Italia in Mailand. Da ist der Goldschmiedeteil, weil heute Italien das Nummer-Eins- Exportland von hochwertigem Schmuck weltweit ist. 

Wie viel Prozent nimmt der Schmuck heute vom Gesamtumsatz ein? 
Dr. Kurtzke: Ich nenne da wie alle deutschen Schmuckwettbewerber im Moment keine genauen Zahlen. Aber das Ziel ist klar: Wir wollen die international führende deutsche Schmuckmarke werden. Das kriegen wir langfristig auch hin. Da gibt es Zahlen, Wege und Meilensteine, die wir erreichen müssen. Der Wettbewerb hat inzwischen auch begriffen, dass wir bestens gerüstet sind. So verstärken wir uns mit Schlüsselpersonen wie beispielsweise Christian Sieg, dem ehemaligen Deutschlandverantwortlichen von Chopard, der im Januar zu uns stößt. 

International führend? Das sind große Ziele! 
Dr. Kurtzke: Das hat August der Starke schon gemacht. Der hat international gedacht – mit seinem Kakao, seinem Kaffee. Das sind alles internationale Speisen. 

Sie wollen die Welt erobern? 
Dr. Kurtzke: Ich muss. Das ist der Auftrag von August dem Starken. Der hat Meissen dazu gegründet. Der hat über den Tellerrand geschaut. Er hat sich nicht an Europa orientiert. Der hat nach Asien gesehen und beim Kaiser von China seinen Maßstab gefunden. Er wollte den westeuropäischen Königshöfen zeigen, was eine Harke ist. Das ist ihm 1711 schon gelungen, als er dem König von Dänemark das erste Geschenk der Manufaktur Meissen geschickt hat. Im Grunde ist es nichts anderes, als wenn Ministerpräsident Tillich heute beim Besuch des bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer das Nymphenburger Nashorn entgegennimmt und ihm unser 19 Kilogramm schweres Panzernashorn von Dürer überreicht und Seehofer charmant in die Knie zwingt. Das ist im Grunde nichts anderes als das, was August der Starke schon damals wollte. Auch das ist Teil meines Auftrages.

Sie werden in der internationalen Presse schon Christian der Starke genannt. Dr. Kurtzke: Da verwechselt man die Rollen. August der Starke war der Besitzer. Ich bin der Dienstleister. 

Wie planen Sie strategisch die Welteroberung durch Meissen? 
Dr. Kurtzke: Das Unternehmen steht im Moment im Ausland auf zwei Säulen, das sind Japan und Taiwan. Als ich kam, hieß es, wir wären in aller Welt bekannt. Sind wir nicht! In Frankreich, Italien, Spanien oder in England kennt man uns nicht. In China kennt unsere Marke überhaupt niemand, in Südkorea vereinzelt. Wenn Sie nach den USA oder Lateinamerika gehen, können Sie das vergessen. Ich habe ein Unternehmen vorgefunden mit 800 Arbeitsplätzen seinerzeit, die alle am seidenen Faden hingen. Wir waren neben Deutschland abhängig von zwei Märkten. Das ist kein Spiel. Ich versuche nicht zum Selbstzweck, die Welt zu erobern. Das können die mit Konzernen leichter machen. Da gibt es manche Großunternehmen, da kann ich mit relativ wenig Verantwortung Stratege spielen.

Ihnen geht es um die Arbeitsplätze? 
Dr. Kurtzke: Die wollen wir nachhaltig absichern und die steigenden Personalkosten erreichen. Also müssen wir im wahrsten Sinne des Wortes weitere Länder erobern, weil da andere Marken mit viel mehr Geld, Unterstützung und Entschlossenheit vorgehen, als wir das aus den verschiedensten Gründen jemals können werden. Deshalb müssen wir genau schauen, in welche Märkte wollen und können wir gehen. China ist natürlich neben Europa einer der Märkte, wo es sich keine Luxusmarke leisten kann, nicht dabei zu sein. Schauen Sie sich den Phaeton an und stellen Sie sich vor, der könnte nicht nach China verkauft werden. Dann gäbe es den nicht. China ist als Absatzmarkt entscheidend.

Wie sieht es mit Russland aus? 
Dr. Kurtzke: Russland ist ein ganz wichtiger Markt. Wir haben sehr viele Freunde der Marke in Russland und dümpeln auf Umsätzen rum, die Meissen unwürdig sind. Wir werden in Russland alles verändern, damit Meissen dahin kommt, wo es hingehört. Trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Russland hatte. Die Luxusgegenden Moskaus sahen letztes Jahr aus wie Outlets, wenn man die Schaufenster angeschaut hat. Das war Horror. Ich glaube, es gibt eine Zeit und eine gewisse Unzeit. Jetzt ist die Zeit reif, dass Meissen sich da wieder ordentlich aufstellt. 

Und Europa?
Dr. Kurtzke: Mailand und Paris sind die zwei Märkte in Westeuropa, in denen die meisten Luxusgüter gekauft werden. In Mailand gab es 2010 vier Milliarden Euro Einkaufsvolumen. Touristen und Italiener haben dort vier Milliarden ausgegeben. Davon wurden schon 2010 zwei Milliarden von Chinesen ausgegeben. In Paris das gleiche Bild. Tendenz überproportional steigend. Sie können davon ausgehen, dass 80 Prozent der Umsätze in Westeuropa in absehbarer Zeit von Chinesen getätigt werden. Dann frage ich mal: `Was macht die Stadt Meißen als Stadtmarketing? Wie stellt sich Dresden als Region auf?` 

Also müssen Sie nach Italien im Rahmen ihrer Chinastrategie? 
Dr. Kurtzke: Ja, ich muss nach Italien, weil ich in Mailand mehr Chinesen treffen werde als in jeder anderen europäischen Stadt. Außerdem muss ich noch nach China vor Ort. Alles, um Arbeitsplätze in Meißen zu sichern. Wenn ich in China mein Porzellan präsentiere, sagt man, ich könne gleich zu Hause bleiben, Porzellan hätten sie auch. Aber wenn ich mit dem Schmuck komme, verlieben sich die Leute darin. Ich rede mit Partnern über neue Schmuckboutiquen von Meissen und am Ende aller Tage verkaufe ich doch Porzellan mit. Seit wir den Schmuck machen, haben wir mehr Porzellan verkauft als vorher. Aber ich verkaufe nicht mehr dadurch, dass ich meine Teller ins Regal stelle, sondern wunderbare Schmuckstücke und so völlig andere Menschen interessiere, junge Leute, ältere, ganz verschiedene Gruppen. Das ist wichtig zu begreifen.

Deshalb die neuen Schwerpunkte.
Dr. Kurtzke: Am Ende aller Tage werde ich die Arbeitsplätze in Meißen nur dadurch auslasten können, dass ich neben Porzellan mehr Handmalerei vertreibe, weil ich mehr Maler als Porzellanformer habe. Meine Kernkompetenz Nummer Eins ist nicht das Porzellan, sondern die Malerei. Die können auf Seide malen, die können Aquarelle malen für Hotels, wenn man 500 Suiten ausstatten muss. Die können viel mehr, als man heute denkt. 

Betrifft dieser große Deal, den Sie anstreben, eine Hotelkette? 
Dr. Kurtzke: Das Eine ist zu verkaufen, die andere Seite zu liefern. Wenn man das im Objektgeschäft einmal nicht richtig schafft, ist man weg vom Fenster. Also müssen wir immer schauen, dass die Dinge, die wir organisieren, die richtige Größenordnung haben, dass die Manufaktur Zug um Zug daran wachsen kann. Aber es geht in der Tat darum, dass ich einen Partner suche, der in der Hotellerie zuhause ist und weltweit die besten Projekte fährt. Der Fünf-Sterne-Hotels hat, private Ressorts betreibt, Anlagegeschichten macht und für all diese Objekte nur einen einzigen Auftrag hat: Einzigartigkeit. 

Warum soll der sich zwischen all den passenden Unternehmen auf der Welt für Meissen entscheiden? 
Dr. Kurtzke: Ich sage denen, wir haben 200.000 Produkte aus vier Jahrhunderten. Wir haben über 300 Kernfarben, 10.000 Farben. Wenn eure Farbe nicht dabei ist, dann erfinden wir die. Wir haben die Möglichkeit, individuell Dekore zu nutzen und zu zitieren oder wir können neue erfinden, abstrakt, naturalistisch, was immer ihr wollt. Wir haben durchgehend hohe Qualität aus vier Jahrhunderten mit dem Versprechen, dass wir etwas, wenn es in 20 Jahren kaputt geht, ersetzen können. Das sind ganz wichtige Aspekte, die ein schlüsselfertiger Partner für seine Objektausstatter bieten muss. 

Die Objektausstattung wird ein weiteres Standbein von Meissen?
Dr. Kurtzke: Wir wollen Hotels, private Villen, Objekte und mobile Innenräume ausstatten. Ich glaube, es gibt niemand anders, der es besser können wird als wir.

Und der große Deal diesbezüglich entscheidet sich in den nächsten drei Tagen? 
Dr. Kurtzke: So darf man nicht denken. Das ist wie beim Grand Slam. Wenn wir diese Chance nutzen, gut. Wenn nicht, erarbeiten wir uns die nächste Möglichkeit. 

Klingt, als hätten Sie einen extrem kräftezehrenden Job. 
Dr. Kurtzke: Natürlich hinterlässt das enorme Spuren. Das ist ein Kraftakt ohne Ende. Es ist immer ein Rennen gegen die Zeit. Irgendwann verglüht so eine Trägerrakete einmal. Deshalb ist es ganz wichtig, dass man Partner hat in der Geschäftsführung, in Führungspositionen, die einen unterstützen. Ich bekomme meine Energie dadurch, dass ich weiß, dass wir an einer historischen Weichenstellung sind. Wenn wir das jetzt nicht richtig machen … Das war schon mal so, als Professor Biedenkopf dafür gesorgt hat, dass die Manufaktur aus den Klauen der Treuhand befreit wurde. Das wäre schon mal eine ganz klare Weichenstellung gewesen. Ich glaube nicht, dass es Meissen heute noch in der Form gegeben hätte. Und jetzt sind wir wieder mal an einer historischen Weichenstellung. Der große Unterschied ist, es kann uns niemand anders helfen. Wir müssen uns selber helfen und wir müssen Freunde gewinnen, Partner gewinnen, Menschen, die an die Zukunft glauben. Dann haben wir eine Chance. Es ist meine Aufgabe, das zu tun. 

Haben Sie auch manchmal Angst ob der großen Verantwortung, die Sie tragen? 
Dr. Kurtzke: Ich hätte Angst, wenn ich keinen Plan hätte. Aber ich habe einen Plan.

Wie sieht der für die nächsten Jahre aus?
Dr. Kurtzke: Langfristig müssen wir uns verdoppeln oder deutlich Personal abbauen. Aber wenn wir Personal abbauen, ist es ein freier Fall nach unten. Das haben andere versucht: Nymphenburg, KPM. Die haben immer abgebaut, abgebaut, abgebaut. Irgendwann konnte das Unternehmen – aus meiner Einschätzung heraus – gar nichts verglichen mit uns. Und dann will es auch keiner mehr. Dieses Downsizing, das vermeintliche Gesundschrumpfen, darf es bei Meissen nicht geben. Es kann nur bergauf gehen wenn man es halten will. Mein Plan ist, langfristig zu verdoppeln. Dabei ist es wie beim Hausbau: Je mehr Zeit du auf dein Fundament investierst, umso schneller baut es sich nachher auf. Und unser Haus wird schneller wachsen, als mancher glaubt. 

 

Das Interview führte Anja K. Fließbach