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Prof. Dr. Michael Albrecht: „Dresden war eine emotionale Entscheidung.“

Disy im Gespräch mit Prof. Dr. Michael Albrecht, medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums

Berlin, Heidelberg, München, Essen - Prof. Dr. Albrecht hatte die Qual der Wahl und doch entschied er sich für Dresden. Inzwischen ist Elbflorenz für ihn zur Heimat geworden. Wir sprachen mit ihm über seine Arbeit als Vorstand, was das Universitätsklinikum von einem Unternehmen unterscheidet und warum er die Arbeit alsaktiver Mediziner vermisst.

Sie kommen ursprünglich aus München, haben dort gelernt und gearbeitet. Wie kamen Sie nach Dresden?
Albrecht:
Über viele Ecken. Ich bin nicht von München direkt hierher gekommen. Ich war vier Jahre lang in Lübeck im Uniklinikum tätig, dann erhielt ich einen Ruf auf die Professur nach Heidelberg/ Mannheim, anschließend hatte ich zeitgleich einen Ruf nach Essen und hierher. Die Qual der Wahl! Ich bin nach Essen und nach Dresden gefahren. Am Ende fand ich es hier schöner und spannender.

Die Stadt überzeugte Sie?
Albrecht: Es waren die Stadt und die Leute, der mögliche Neustart. In Essen hing schon der Haken für meinen Kittel an der Wand. Hier war die Anästhesie vorhanden, die Kollegen haben gute Arbeit gemacht, gar keine Frage. Aber ansonsten gab es nichts, keine Intensivmedizin, keinen Neubau für OPs. Es gab tolle Mitarbeiter, aber alle wollten etwas Neues machen und durchstarten.

Drei Jahre nach der Wende hatten viele Innovationsgedanken.
Albrecht: Es war eine tolle Stimmung. Die Stadt hat auch viele Verbindungen zu München. Das ist ja meine Heimat, ich bin in Schwabing geboren und aufgewachsen. Als ich das erste Mal durch die Dresdner Neustadt gegangen bin, entdeckte ich viele Parallelen zu den Büchern von Erich Kästner. Sogar der Geruch der Stadt erinnerte mich an meine Kindheit. Die ganze Szene der Stadt mit den Musikern und Malern in Verbindung mit der Aufbruchstimmung, das hat mir sehr gefallen und die Entscheidung leicht gemacht. Auch wenn die Konditionen schlechter waren, aber danach wählt man nicht aus.

Was hat Ihre Familie dazu gesagt?
Albrecht:
Ich habe mit meiner damaligen Frau die Stadt besucht und wir waren uns schnell einig. Meine Kinder sind auch in Dresden geboren, sodass der Umzug nie ein Thema war. Ich hatte im Anschluss als Klinikchef mehrere Angebote. 2002, als ich Vorstand wurde, bekam ich ein Angebot von der Berliner Charité, danach von Heidelberg und von München. Viele dachten, dass ich tatsächlich nach München wechsle, aber ich habe mich bewusst gegen eine Rückkehr entschieden. Das war keine Entscheidung des Kopfes, sondern eine emotionale. Obwohl mich alte Freunde oder meine Schwester gern am Standort München gesehen hätten.

Dann sind Sie quasi Sachse?
Albrecht:
Na ja, nach 20 Jahren hier, kann man das schon behaupten. Nach einer so langen Zeit - ist man das vermutlich automatisch. Ich bin viel unterwegs, doch wenn ich hier her fahre, dann fühlt sich das an, wie nach Hause zu kommen. Das Gefühl habe ich nicht mehr, wenn ich nach München fahre.

Vermissen Sie das Leben als praktizierender Arzt?

Albrecht:
Am Anfang hat mir das wirklich gefehlt. Zumal ich eine medizinische Tätigkeit hatte, bei der man immer beschäftigt ist. Ich verabreichte Narkosen, legte invasive Zugänge und so weiter. Das Manuelle hat mir am Anfang schon gefehlt. Noch wichtiger ist aber der Umgang mit den Menschen. Das hat sich zum Glück nicht geändert. Früher waren das Patienten, heute sind es Mitarbeiter oder Partner und Konkurrenten. Mein ganzer Tag ist im Grunde verplant. Ganz raus bin ich nicht aus der Medizin. Ich bin häufig in den Kliniken und den Stationen, lese Fachliteratur und besuche Kongresse. Das ist wichtig, um auf dem Laufenden zu bleiben. Und natürlich fragen mich häufig Patienten - noch mehr als früher. Dann werde ich zum Lotsen, schicke die Menschen zu den einzelnen Experten und betreue sie ganzheitlich.

Ist man nach 15 Jahren als Vorstand noch in der Medizin drin? Könnten Sie morgen im OP stehen?
Albrecht:
Ich wäre ohne praktische Eingewöhnungsphase nicht mehr in der Lage, eine komplizierte Narkose durchzuführen. Theoretisch kann ich es noch, aber ich bin nicht mehr auf dem neuesten Stand der Dinge.

Was müssten Sie machen, um wieder praktisch tätig zu sein?
Albrecht: Dann müsste ich sicher ein Viertel - oder gar ein halbes Jahr lernen. Aber das vermisse ich nicht. Ich habe zuvor ein Vierteljahrhundert lang als Arzt gearbeitet. Da bin ich oft genug früh um sechs Uhr in die Klinik gekommen.

Hatten Sie damals schon den Gedanken, später im Management tätig zu sein?

Albrecht: Klar, ich habe immer versucht, mich nicht nur auf eine Branche zu konzentrieren. Ich schaue immer schon bei anderen Herstellerbetrieben, Pharma- oder Dienstleistungsunternehmen hinein. Was machen die Post oder die Bahn als große Dienstleister? Die haben in Deutschland gigantische Umsatzzahlen und Steigerungen. Als Unternehmer stelle ich immer die Frage, was machen die anderen anders oder besser? Kann ich im eigenen Unternehmen etwas besser oder anders machen?

Sie interessieren sich privat für Kunst und Musik?

Albrecht: Ich habe vor dem Medizinstudium angefangen, an der Filmhochschule zu studieren. Aber ich habe relativ schnell erkannt, dass ich heute bereits verhungert wäre. Ein Faible für Filme, Malerei und Musik habe ich mir aber beibehalten und fotografiere und male immer noch, wenn ich die Zeit finde.

Wenn man Sie mit 17 gefragt hätte, was Sie mal werden möchten, was wäre Ihre Antwort gewesen?

Albrecht: Nicht Mediziner, vielleicht Regisseur oder Schauspieler. Aber häufig kommt es anders als man denkt. Ich war nur ein Jahr an der Filmhochschule. Es war eine tolle Zeit, wir haben auf der Leopoldstraße Bilder verkauft und ich habe als Komparse gearbeitet.

Wie kamen Sie zur Medizin?
Albrecht:
Die Filmhochschule war damals in München direkt gegenüber der Universität. Dort bin ich in Kontakt mit Medizinstudenten gekommen. Besonders faszinierend fand ich die Anatomie. Wir mussten damals Zeichnungen von Händen anfertigen und ich bin einfach in eine Anatomievorlesung gegangen.

Ihre Liebe zur Medizin ist spät erwacht...
Albrecht:
Ja, ich habe spät verstanden, dass man als Mediziner Dienstleistung am Menschen erbringt. Mir war wichtig, dass ich etwas für oder mit Menschen mache. Ich könnte nie an einem Schreibtisch sitzen und nur Akten ordnen. Ich bin auch immer auf der Suche nach Herausforderungen.

Ist Ihr Tag länger als bei anderen?

Albrecht:
Auch mein Tag hat nur 24 Stunden. Aber ich komme selten vor ein Uhr ins Bett. Im Moment bin ich auch an den Wochenenden häufig mit Terminen beschäftigt. Vielleicht wäre ein bisschen weniger Arbeit gut. Man kann viele Dinge, die einem Spaß machen, nicht mehr tun. Aber insgesamt habe ich viel Freude an der Arbeit und lebe unter Belastung richtig auf.

Wie sieht ihr Tagesablauf aus?
Albrecht:
Häufig habe ich zehn bis zwölf Termine am Tag. Ich bekomme immer Ordner, die mich auf die Termine vorbereiten. Die schaue ich mir im Bett an. Oft habe ich beim Termin auch jemanden dabei, der mir bei den Terminen assistiert, um die Übersicht zu bewahren. Abends komme ich nach Hause und überlege mir, was ich eigentlich geschafft habe. Und wenn mir jeden Abend etwas einfällt, bin ich zufrieden.

Reden Sie mit Ihrer Frau über den Tag?

Albrecht: Nein, meine Arbeit bleibt hier. Ich bin froh, dass sie so viel Verständnis dafür hat, dass ich manchmal auch abends spät nach Hause komme. Man kann schließlich von niemandem verlangen, sich einfach so darauf einzulassen.

Dieses Schicksal hätte Sie als Schauspieler auch ereilt.
Albrecht:
Das stimmt. Es gibt eine Menge Berufe, in denen man fremdbestimmt ist.

Wie lange möchten Sie noch in Ihrem Beruf arbeiten?
Albrecht: Wenn möglich so lange, bis ich nicht mehr gut bin. Es ist nur leider so, dass man das selbst oft nicht einschätzen kann. Das Urteil darüber, ob man seine Arbeit gut macht, ist subjektiv. Wir merken es allenfalls am Ergebnis und an der Akzeptanz der Menschen. Klar, es wird auch physisch ab einem gewissen Alter einfach schwieriger.