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Michaela May: Die Schauspielerin schlüpft in die Rolle einer Serienmörderin

Sie war schon als Kommissarin, Richterin, Psychotherapeutin und Gräfin zu sehen, außerdem als Ehefrau, Mutter und Großmutter: die Rede ist von Michaela May. Die Münchnerin zählt zu den wandlungsfähigsten Schauspielerinnen Deutschlands. Für ihr neuestes TV-Projekt schlüpfte sie nun in die Rolle in einer Serienmörderin. Keine fiktive Figur, denn Michaela May spielt eine „echte“ Mörderin. Nämlich die Patientenmörderin Marianne Löhr (Tätername wurde zum Schutz der Persönlichkeitsrechte geändert), die fast vier Jahrzehnte als Krankenschwester tätig war. Ein Pfleger kam ihr auf die Spur nachdem sich auf ihrer Station die Todesfälle häuften, und eine Ampulle mit einer ungewöhnlichen Medikation wurde ihr zum Verhängnis. Sechs Tötungsdelikte konnten ihr nachgewiesen werden. Ihm Rahmen des neuen Crime-Formats „Protokolle des Bösen“ des TV-Senders A&E, in der die schockierendsten Fälle der Kriminalgeschichte analysiert werden, wurde die Geschichte verfilmt. Der anerkannte Kriminalist und Autor Stephan Harbort führte Interviews mit 50 deutschen Serienmördern, um herauszufinden, weshalb Menschen zu Killern werden. Fünf dieser Gespräche wurden im Rahmen eines Kammerspiels nachgestellt. Ausgestrahlt werden die Folgen (auch Uwe Ochsenknecht und Detlef Bothe schlüpfen in die Rolle von Serienmördern) ab September, wir haben mit Michaela May aber schon jetzt über das Projekt gesprochen.  

 

Was war das Reizvolle, in „Protokolle des Bösen“ die Figur der Marianne Löhr, einer verurteilten Serienmörderin, zu spielen??

M: Ich fand es spannend, dass es um ein Gespräch ging, das es 1:1 so stattgefunden hat zwischen Stephan Harbort und Marianne Löhr. Es war hochinteressant, mich in die Situation hineinzufühlen, in der diese Frau sich befindet. Die Geschichte liegt ja noch nicht lange zurück, und Marianne Löhr ist noch im Gefängnis. Bislang habe ich immer fiktive Stoffe verfilmt, die Drehbuchautoren erfunden hatten. Jetzt aber ging es um eine reale Begebenheit, die genauso stattfand. Die Vorarbeit, die Recherche - das alles war sehr reizvoll und interessant.

 

Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet? Sie konnten Marianne Löhr ja nicht persönlich treffen.?

M: Ich habe mir Auszüge aus dem Gespräch mit Stephan Harbort angehört, kannte also ihre Stimme und ihre Emotionen. Es war keine Nachahmung. Es ging nicht darum, diese Frau zu kopieren. Sondern darum, sich in ihren seelischen Zustand hineinzuversetzen. Ich habe versucht, ihr in gewisser Weise getreu zu sein indem ich versucht habe, ihre Emotionen zu verstehen. Denn ihrer Argumentation nach kennt sie die Morde, die sie begangen hat, nicht als solche an. Ein weiteres Hauptaugenmerk bei der Vorbereitung lag auf Aussagen der Ärzte und des Pflegepersonals: Wie sie diese Frau beschrieben haben und sie erlebt haben.

 

Warum glauben Sie hat sie die Morde begangen?

M: In den Gesprächen mit ihrem Umfeld kam ans Licht, dass sie eher ein Einzelgänger war und nicht sehr kommunikativ. Im Interview behauptet sie zwar, immer dabei gewesen zu sein und eben keine Einzelgängerin gewesen zu sein, aber gerade das hat mich hellhörig gemacht. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass sie sehr einsam gewesen sein muss. Ihr Mann hatte sie verlassen.... Es stellte sich auch heraus, dass sie den Patienten, die sie behandelt hat, gegenüber eine große Zuneigung empfunden hat und auch von diesen ebenfalls Vertrauen bekommen hat Die Aussagen waren immer übereinstimmend: Dass sie eine gute Pflegeschwester war, dass sie für diesen Beruf sehr geeignet war und einen guten Zugang zu den Patienten hatte. Das war ihre Familie, das waren ihre Vertrauten. Und so kam es auch zu tiefen Gesprächen mit ihren Patienten: Sie hat es immer wieder erlebt, dass die Menschen zu ihr gesagt haben: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.“ Und nach so vielen Jahren auf dieser Palliativstation hat sie diese Aussagen folgendermaßen interpretiert: „Dann helfe ich diesen Menschen eben.“ Aus ihrer Sicht heraus war es mehr eine Erlösung als ein Mord. Sie wollte auch immer, dass die Angehörigen in Ruhe Abschied nehmen können. Die Frage ist eben nur, ob diese Menschen wirklich so krank waren, dass sie sterben mussten. Und somit wird die Tat zum Mord.

 

Können Sie nachvollziehen, dass sie die Taten begangen hat? Gibt es so etwas wie Verständnis??

M: Einerseits kann ich verstehen, dass man nach 30 Jahren in diesem Job in der Palliativstation – ein Mörderjob – sagt: „Dann helfe ich ihnen einfach hinüber.“ Genau in diese Situation habe ich versucht mich hineinzufühlen. Sie haben diese Schicksale zutiefst berührt, sie hat sich aber gleichzeitig über Herrscher von Leben und Tod gemacht. Aber für sie war es wie gesagt mehr ein Fakt der Erlösung.

 

In Ihren Augen hat sie die Taten also aus Mitleid begangen?

M: Sie selbst sagt nicht aus Mitleid, sondern aus Mitgefühl. Einmal fängt sie während des Gesprächs an zu weinen, nämlich an der Stelle, wo sie gefragt wird, wie sie lebt. Da habe ich erkannt, dass es eine sehr einsame Person ist. Ihre einzige Erfüllung war es, diese kranken Menschen zu pflegen. Aus dieser Situation heraus habe ich Verständnis für sie.

 

Was bewegt einen Menschen, einen Mord zu begehen? Was muss passieren?

M: In diesem Fall wollte sie erlösen. Es ist eine Art Helfersyndrom. Eben ein Mitgefühl, wie sie es ausgedrückt hat. Es waren ihre Kinder, ihre Schützlinge.

 

Sie hat lebenslang bekommen. Finden Sie das Urteil gerecht?

M: Ich kann es schwer sagen. Auf der einen Seite kann man das was sie getan hat natürlich nicht einfach selbst in die Hand nehmen. Auf der anderen Seite ist lebenslang durchaus ziemlich hart. Man hätte ihr auf jeden Fall die Arbeitserlaubnis entziehen müssen. Es ist wirklich schwer, eine gerechte Strafe zu finden. Wie gesagt, sie sieht sich selbst nicht als Mörderin, für sie ist Mord etwas Bösartiges, etwas von langer Hand Geplantes. Es geht mehr in Richtung Thema Sterbehilfe. Es gibt viele schwerstkranke Menschen, die sagen: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.“ Stichwort Patientenverfügung: Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage wäre. Gibt man jetzt Morphium? Das ist eine so schwerwiegende Entscheidung: Ab wann ist das Leben nicht mehr lebenswert? Nach dem Tod dreht sich so viel um das Thema Geld, alle streiten sich, da wird das Leben plötzlich ganz grausam. Deshalb wird die Legalisierung der Sterbehilfe immer schwierig sein, da man die Abgrenzung nicht bestimmen und auch Absichten nicht erkennen kann. In der Schweiz muss die Person noch handlungsfähig sein, das finde ich vernünftig. Der Patient muss alles noch selbst in die Wege leiten. Das Schwierige ist, dass man von außen nicht beurteilen kann, wie lebenswert ein Leben noch ist, auch wenn jemand sagt: „Ich will nicht mehr.“ Mein Vater ist damals, 2002, einfach tot umgefallen, beim Rosenschneiden. Für uns war das damals ein Schock, aber meine Mutter sagt heute: „Er hat Glück gehabt“. Er musste nicht leiden, er musste nie im Rollstuhl sitzen. Er wurde 86 Jahre alt, und bis zu seinem Tod hat er das Leben genießen können. Meiner Mutter - sie ist 95 Jahre alt - geht es noch gut, zum Glück. Aber sie lebt in einem Stift und erlebt dort die verschiedensten Arten zu gehen. Je älter man wird, umso mehr wünscht man sich, friedlich im Schlaf zu sterben. Wenn man viel Leid gesehen hat, dann kann man sich selbst nur wünschen, dass dieses Leid einem erspart bleibt. Einen „schönen“ Tod erleben zu können, das war auch das Ziel dieser Frau.

 

Wie seht hat die Rolle Sie belastet?

M: Ich fand es nicht belastend, aber wahnsinnig interessant. Es nimmt einen natürlich immer in gewisser Weise mit, wenn man solche emotionalen Szenen spielt. Aber das war ja nichts Neues für mich, ich war ja im Film nicht immer nur die Gute. Aber nach dem Tag der Aufzeichnung war ich durchaus emotional k.o. und fertig.

 

Sind die bösen Rollen die spannenderen?

M: Das Drama ist immer interessant. Aber auch nicht schwieriger als die Komödie. Eine gute Komödie ist genauso schwer wie ein Drama. Ich habe natürlich oft Frauen gespielt, die auf der Sonnenseite stehen. Interessanter ist es natürlich, wenn die Abgründe der Figur tiefer greifen und man auch die dunklen Seiten eines Menschen zeigen kann und den Zuschauer damit in den Bann ziehen kann, wenn er die Nöte versteht.

 

Warum zeigt man, glauben Sie, so eine Serie? Ist es der Reiz des Bösen?

M: Ich glaube, dass es interessant ist, die Psychologie eines Mörders zu verfolgen. Aus welchen Beweggründen begeht jemand eine solche Tat? Wie kann man so etwas vielleicht im Vorfeld verhindern? Wann muss man hinhören? Das Interesse des Zusehers liegt sicherlich darin zu erfahren, warum die Person die Tat begangen hat: Wie kommt ein Mensch überhaupt dazu? Es hat hoffentlich auch eine psychologische Wirkung auf den Zuschauer.

 

Glauben Sie, dass es so etwas wie ein Mörder-Gen gibt? Gewisse Menschen würden auch in der größten Notlage niemals einen Mord begehen.?

M: Ich habe sehr viele Krimis gedreht und hatte in meinen „Polizeirufen“ immer mit den Profilen der Täter zu tun gehabt. Das Böse ist immer und überall, so heißt ein Song. Aber es erwächst auch immer aus einer Sache heraus. Der Mensch hat wenn er zur Welt kommt bestimmte Anlagen. Aber die Auswüchse entstehen erst im Laufe der Entwicklung. Der Mensch ist nicht von Grund auf böse geboren, um das Wort „böse“ aus dem Titel der Reihe zu nehmen. Keiner kommt mit dem Messer in der Hand auf die Welt. Erziehung, der immer fortschreitende Verfall des Familienverbunds, das alles trägt zur Entwicklung bei. Das Wichtigste ist, dass man Liebe erfährt in seinem Leben. Das ist das Entscheidende.

 

Wie geht es beruflich bei Ihnen weiter? Ist die nächste Rolle eine gute oder eine böse Figur??

M: Ich spiele eine Frau, die nach langer Ehe in partnerschaftlichen Schwierigkeiten steckt, die sich von ihrem Partner trennen und noch einmal verwirklichen will. Wir drehen ab Juli. Davor bin ich im April auf einer Lesereise auf der Aida und halte mehrere Lesungen. Auch mit der Krimiautorin Nicola Förg, deren neues Buch “Das stille Gift“ gerade erschienen ist, es ist auf Platz 11 der Bestsellerliste, und ich habe das Hörbuch dazu eingelesen. Das Kriminelle lässt mich also nicht los!

 

Text: Andrea Vodermayr