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Einmal um die Welt, bitte!

Mit „MS Amadea" rund um den Globus

Disy-Chefredakteurin Anja K. Fließbach fuhr mit ihrer Tochter Louisa viereinhalb Monate lang um die Welt. In Disy berichtet sie von ihren Erlebnissen. Heute: Argentinien, Uruguay, Chile, Robinson Crusoe Insel, Osterinsel, Bountyinsel und die Südsee.

Leidenschaft in Buenos Aires
Mit Schwung nahm er mein Knie und zog mich dicht an sich heran. Sein Gesicht war nah an meinem, unsere Nasen berührten sich und er schaute mir tief in die Augen. Er hatte schöne Augen. Solche, die mein anderes Knie auch noch zum Wackeln brachten. Ja, dieser Augenblick war eine Weltreise wert ...

Wir waren mit der „MS Amadea" in Buenos Aires gelandet, der Stadt des Tangos und der Leidenschaft, der schönen Männer und eleganten Frauen, der breiten Avenidas und monumentalen Bauten. Ich hatte durch meinen Beruf schon viele interessante Orte gesehen, schöne Städte, imposante Landschaften. Doch es gab drei oder vier Highlights auf der Welt, die besonders waren. Buenos Aires war für mich ein solcher Höhepunkt. Die Stadt hatte Feuer, Leidenschaft, Energie, Rhythmus, so wie der Tanz.

Mehr als 13 Millionen Menschen wohnen im Großraum Buenos Aires. Direkt in der argentinischen Hauptstadt leben drei Millionen. Wir spazieren auf der breitesten Straße der Welt (breiter als ein Fußballfeld lang ist), der Avenida 9 de Julio, laufen über schattige Avenidas und durchs bunte Künstlerviertel La Boca. In dem alten Hafenviertel hatte einst der Maler Benito Quinquela Martin die Bewohner überzeugt, ihre grauen Häuser aus Schiffsblech mit farbigem Lack zu überziehen. Deshalb leuchten die Häuser heute knallig, steht ein rotes neben einem sonnengelben Haus, eine pinkfarbene Hütte neben einer smaragdgrünen. „Wie eine bunte Blumenwiese", meint meine Tochter.

Hier war es auch, wo mir Antonio begegnete. Jener schöne Mann, den es sonst nur in Filmen gibt. Der einen ansieht und dahinschmelzen lässt. Obwohl es nur ein paar Minuten waren, ein kurzer angedeuteter Tanz – diese Nähe, diese Magie, diese Leidenschaft hatte ich schon damals bei den argentinischen Männern verspürt und dieses Mal wieder. Sie hatten nicht die Kühle der Deutschen oder das Aufdringliche der Brasilianer. Sie waren sanft, charmant, anerkennend, verehrend, stilvoll und unglaublich sinnlich. Natürlich gab es auch die entsprechenden Frauen in Buenos Aires in sexy Tango-Kleidern, mit hohen Schuhen und dunklem Haar. Louisa lacht: „Es sah aus, als wollte er dich küssen." Ich winke ab: „Das denkst du nur."

Eigentlich haben wir nicht mehr viel Zeit, weil unsere Freundin Anke heute nach Hause fliegen muss. Aber diese Stadt ist zu schön, um sich zu beeilen. Wir zeigen Anke unsere Lieblingsecken, sitzen in Straßencafés und schauen den Menschen zu, die in bunten Kleidern auf der Straße Tango tanzen. Schwupp, werden wir herumgewirbelt. Zack. Zack. Aus jedem Laden, aus jedem Restaurant, auf jeder Straße ertönt Musik.

In einem Hotel bitte ich den Concierge, uns einen Fahrer zu organisieren, der Englisch spricht. Der Concierge ist ein schöner älterer Mann. Der Fahrer, der uns abholt, ist auch schön. Und jung. „Buenos Aires braucht bestimmt noch ein gutes Magazin", sage ich zu meiner Freundin Anke im Auto mit Blick auf den Fahrer. Anke lacht: „Stimmt." Und in unserer Redakt-ion würden wir nur Männer beschäftigen …

Daniel, der mit dem zweiten Namen ausgerechnet Juan heißt, fährt uns zum Stadion „Bonbonera" (übersetzt: Pralinenschachtel). „Hier hat Diego Maradona bei den Boca Juniors seine Weltkarriere begonnen", so Daniel. Die Tribünen sind extrem steil und sehen wirklich aus wie eine Schachtel. Danach fährt Daniel mit uns durch die Stadtteile Recoleta und Palermo. „Als es im Süden der Stadt im 19. Jahrhundert eine Gelbfieber-Seuche gab, zogen die Reichen hierher nach Norden." Dort sind sie jetzt noch. Wir sehen teure Autos und Designer-Boutiquen. Wir halten beim „Cementerio de la Recoleta", dem Friedhof mit dem schlichten Grab von Evita Perón.

Ich versuche zu verhindern, dass Louisas Blick auf die freizügigen Nachtlokale und Etablissements gleich neben dem Friedhof fällt, und erzähle ihr Evitas Geschichte. „Sie war eine arme Tänzerin und verliebte sich in den späteren Chef des Landes, Juan Domingo Perón. Plötzlich war sie reich und tat mit dem Geld viel für arme Menschen. Bevor sie starb, sagte sie zu ihrem Volk, dass es nicht um sie weinen soll." Prompt stimmt Daniel das Lied „Weine nicht um mich, Argentinien" an und schüttelt kaum merklich den Kopf. Statt einer Erklärung fährt er uns zum berühmten Balkon von Evitas letzter Ansprache. Ein heruntergekommenes, graues Hochhaus mitten auf einer Hauptstraße. Kein Glanz. Kein Hauch von Nostalgie. „Wir hatten seit 1930 fünf Militär-Diktaturen", so Daniel leise. „Immer, auch unter Perón, wurden Kritiker unterdrückt und verschleppt."
Noch heute demonstrieren die Menschen auf dem „Plaza de Mayo" jede Woche vor dem Präsidentenpalast, um etwas über die verschwundenen Angehörigen und Freunde zu erfahren. Seit 1983 hat Argentinien eine Demokratie. „Bei uns gibt es immer Krisen im Land. Wir haben gerade nur eine Ruhepause", so der Einheimische. „Habt ihr Hunger?", will Daniel wissen. Klar, wenn wir nur nicht Ankes Flugzeug verpassen würden. Noch von unserem letzten Besuch kennen wir das Restaurant „Caballeria" in Puerto Madero.

Auf der Karte steht natürlich „Rind". In der Pampa von Argentinien weiden 50 Millionen Rinder. Deutschland ist der größte Absatzmarkt für argentinisches Rindfleisch in Europa.

„Es leben viele Deutsche bei uns", weiß der Fahrer. Rund eine Million Deutsche und Deutschstämmige sind in Argentinien gemeldet. Erst waren die Deutschen vor Bismarcks Gesetzen hierher geflohen, dann wegen der Wirtschaftskrise der 20er-Jahre, später flohen Juden vor Hitler nach Argentinien und nach dem Krieg die Ex-Nazis und viele ihrer Anhänger.

Argentinien ist ein interessantes Land, Buenos Aires so eine schöne Stadt. Ich könnte Daniel noch lange zuhören, die Menschen beobachten, die Häuser bestaunen. Aber wir müssen zum Schiff, Ankes Gepäck holen und uns von ihr verabschieden. 

Es war Sonntag in Uruguay
Verflixt, es war ein Sonntag. Schon als ich die Reise gebucht hatte, freute ich mich auf dieses Geschäft in Montevideo. Vor einem reichlichen Jahr hatte ich dort das schönste Kleid der Welt gekauft. Rot, sexy, einmalig. Dieses Mal wollte ich richtig zuschlagen. Einen ganzen Koffer voller Kleider. Aber nein, ausgerechnet an einem Sonntag mussten wir in Uruguay vorbeikommen ...

Klingt das nicht völlig verrückt? An einem bestimmten Tag in einem Land vorbeischauen, um Klamotten zu kaufen? Aber so ist das auf einer Weltreise. Wir brauchen noch Wasser? Kaufen wir auf den Kapverden. Turnschuhe für Louisa? Wir warten bis Asien. Ein neues Kleid für die Gala? Unbedingt noch in Südamerika. Ein neues Ladegerät für die Kamera? Singapur, wo sonst. So wie wir auf der Welt ein paar Lieblingsrestaurants hatten, gab es auch ein paar Geschäfte oder Leute, die wir treffen würden, falls wir dort mal wieder vorbeikamen. Wie ihr seht, ist es kein Wunder, dass Leute vom Schiff sich nur schwer wieder ans Land gewöhnen können. Das Schiffsleben ist eine verrückte Welt, die normal zu sein scheint.
Da es nun eben ein Sonntag war, an dem wir in Montevideo, der Hauptstadt von Uruguay, ankamen, widmeten wir uns eben der Stadt statt dem Shopping.

Uruguay liegt zwischen den großen Ländern Brasilien und Argentinien und so waren wir nur eine Nacht von Buenos Aires unterwegs gewesen. Uruguay ist mit 176.000 qkm das zweitkleinste Land Südamerikas (das kleinste ist Surinam) und gehörte bis 1776 zum spanischen Vizekönigreich Peru, überstand nach der Unabhängigkeit Bürgerkriege und Militärdiktaturen. Heute ist es eine Republik.

Montevideo selbst ist eine moderne, europäisch anmutende Großstadt mit der höchsten Bildungs- und der niedrigsten Kriminalitätsrate Südamerikas. Von der Plaza Independencia aus spazieren wir an Springbrunnen, Unabhängigkeitsdenkmalen und kolonialen Bauten vorbei, schauen, genießen und gönnen uns eine kühle Limonade. Nein, wir gehen nicht an meinem Lieblingsgeschäft vorbei. Nach Uruguay gekommen, um vor einer verschlossenen Tür zu stehen? 

Vielmehr bewundern wir das Reiterstandbild des Nationalhelden José Gervasio Artigas und ich erzähle Louisa nicht, dass er selbst im Mausoleum darunter liegt. Das laut Reiseführer hässlichste Gebäude Süd-amerikas steht ein paar Ecken weiter. Es ist der Palacia Salvo und wir finden es nicht so schlimm. Wir schauen uns noch den Brunnen der Freiheit auf der Plaza Sarandhi an und die Kathedrale der Iglesia Matriz mit den Gräbern einiger Generäle, und das war es auch schon weitestgehend mit den Sehenswürdigkeiten in Montevideo. Ich sage doch, es ist eine Stadt zum Shopping. Eben nur nicht sonntags …

Also legt die „MS Amadea" auch schon planmäßig um 14 Uhr ab. Bemerkenswert ist wieder die Ausfahrt. Der Kreuzfahrtleiter erzählt über Lautsprecher Wissenswertes über das Land, den Hafen und auch das Wrack des Panzerkreuzers „Graf Spee", der hier 1939 auf einer Kaperfahrt leckgeschossen wurde. Viele Mitglieder der Mannschaft der „Graf Spee" setzten sich nach Argentinien ab. Die Nachkommen leben heute noch in einem Ort mit dem Namen Villa General Belgrano.

Wir fahren den Rio de la Plata entlang, den die ersten Spanier „Silberfluss" tauften. Das Wasser ist schmutzig und schlammig. Die Wege für die Schiffe müssen ständig freigebaggert werden. Es gibt viele unangenehme Insekten. Bei der Einfahrt über den Fluss Richtung Buenos Aires in der vorletzten Nacht hatten wir ein wahres Horrorszenario an Deck. Zahlreiche schwarze Käfer, große Heuschrecken und eigenartige Flugobjekte attackierten die nächtlichen Pool-Bar-Besucher. „Das ist wie am Amazonas", berichtete ein Reiseleiter, der es dort schon erlebt hatte. „Die Scheiben. Alles schwarz."  

Schwarz. So hätte eines meiner neuen Kleider sein sollen, die ich in Montevideo kaufen wollte. Nächstes Mal. Falls es nicht gerade wieder ein Sonntag sein wird.

Die Cowboys der Pampa
Alfredo ist ein kräftiger Mann. Schwarzes Haar, dunkle Augen, strenger Blick. Er wirft das Schaf auf den Boden und stellt sich mit seinem Fuß auf den Nacken des Tieres. Dumpf blickt es geradeaus. Ein paar Tropfen Öl in die Scher-Maschine und dann nehmen sich Alfredos Helfer das Tier vor. Wir sind Gäste auf einer Estancia in der Pampa Patagoniens.

„Dummes Schaf", sagt Malvina, die uns und ein paar andere Passagiere zur Estancia gebracht hat. „Die Schafe in Neuseeland sind viel wilder", erklärt ihr meine Tochter Louisa. Die Hitze ist kaum auszuhalten. Rund 35 Grad im Schatten. Hier im Süden von Argentinien ist das Land durch Zäune eingeteilt. Eine Estancia an der anderen, ähnlich wie die Ranches in Amerika. Die Besitzer der Estancias sind die Gauchos, die Cowboys der Pampa. Ihr Mythos: hoch zu Pferd, Lasso schwingend mit breitem Hut, stolz und stark.  

Alfredo hat zwar keinen Hut, aber sein Pferd steht vor dem Haus und in seiner Art ähnelt er dem Gaucho, wie ihn Karl May in seinem Buch „Am Rio de la Plata" beschrieben hat: „Der Gaucho hat in seinem Charakter die wilde Entschlossenheit und den unabhängigen Sinn der Ureinwohner und zeigt dabei den Anstand, den Stolz und das vornehme Betragen des spanischen Caballero." Nun, vornehm ist Antonio nicht. Aber gastfreundlich. Er zeigt uns, wie die Schafe geschoren werden, und erzählt etwas über die ursprüngliche Art der Schafzucht und wie die Gauchos früher waren. „Wir zogen frei durch die Pampa und lebten von verwilderten Rindern." Doch dann wurde die Viehwirtschaft organisiert, und die Gauchos begannen ihre Besitzungen einzuzäunen und spezialisierten sich auf Rinder, Schafe oder Pferde. Die Landwirtschaft bildet auch heute noch das Rückgrat der argentinischen Wirtschaft, mehr als die Hälfte aller Exporterlöse werden damit erzielt. Rinder sind dabei besonders wichtig, aber immerhin auch 28 Millionen Schafe und drei Millionen Pferde werden heute in Argentinien gehalten. Antonio führt uns herum, lässt Louisa Guanacos streicheln. Das sind Tiere, die zur Familie der Lamas gehören.  

Als wir bei einem Tee in der großen Halle der Estancia sitzen, lernen wir Soledad kennen. Die hübsche Frau stammt aus Buenos Aires, hat Sozialwissenschaften studiert und ist in den ruhigen Süden gezogen. Sie lädt mich zu einem Mate ein. Die Spanier nannten das Getränk der Ureinwohner yerba mate, Matekraut. Dabei hat es nichts mit Kraut zu tun, sondern stammt von einem Stechpalmengewächs, einer zehn Meter hohen Mischung aus Baum und Strauch. „Die Triebe der Pflanze werden über dem Feuer getrocknet und dann zerrieben", erklärt Soledad.

Sie reicht mir eine goldene Kalebasse, in der sie das grüne Pulver aufgebrüht hat. Ein silbernes Röhrchen schaut heraus, durch das man wie durch einen Strohhalm trinkt. Der Mate schmeckt ähnlich wie schwarzer Tee. Das Gefäß geht von einem zum anderen. Wenn es leer ist, wird mit Wasser aufgegossen.

Nun gesellen sich auch Alfredos Frau Christina und ihr Sohn Mathies dazu. Eine gemütliche Runde, und wie schon so oft auf dieser Weltreise fühlen wir uns wie bei Freunden, dieses Mal eben auf einer Estancia mitten in Patagonien. Jeder erzählt seine Geschichten.

Malvina spricht die deutsche Sprache perfekt. Ihr Großvater stammte aus Bremen. Er war Einkäufer für ein Bekleidungshaus, hatte geschäftlich in Patagonien zu tun und bekam von einem Geschäftsfreund eine Estancia zum Kauf angeboten. „Ist es nicht verrückt, welche Wege das Leben manchmal nimmt?", fragte die über 70-Jährige nachdenklich. „Normalerweise hätte ich in Deutschland gelebt."

Zum Abschied empfiehlt uns Soledad ein Restaurant in Puerto Madryn, der Stadt, wo unsere „MS Amadea" vor Anker liegt. Wir verabreden uns für den Abend und verabschieden uns von Alfredo und seiner Familie.

Malvina nimmt uns wieder mit zurück nach Puerto Madryn. Die Weiten der Pampa gleiten an uns vorbei. Patagonien ist eine wilde und einsame Gegend und nimmt ein Drittel der Fläche Argentiniens ein. Hier gibt es felsige Küsten und eine karge Landschaft, die Charles Darwin nach einer Reise auf seinem Segelschiff „Beagle" so beschrieben hat: „...doch werden diese Ebenen als kümmerlich und nutzlos bezeichnet. Sie können auch nur mit negativen Eigenschaften belegt werden: keine menschlichen Siedlungen, kein Wasser, keine Bäume, keine Berge; nur ein paar Zwergpflanzen halten sich dort." So sieht es aus. Karg, trocken und staubig. Aber nicht an der Küste. Da ist das Leben. Millionen von Pinguinen, See-Elefanten und Seelöwen leben dort. Mehr dazu – morgen.

PS: Der Besuch in Puerto Madryn bescherte uns eine kleine „Sturm-Pause". 

Von Seelöwen, Pinguinen und Walen
Träge schleppt sich das Seelöwenweibchen an den Strand. Platsch. Es bleibt im Sand liegen und krümmt keine Flossse mehr. Der große Seelöwe neben ihr hat es nicht leicht. Eine Möwe setzt sich immer wieder auf seinen schweren Körper. Mühsam hebt er den Kopf und beschwert sich laut. Ganz hinten unter dem Felsvorsprung im Schatten liegen die anderen Seelöwen neben- und übereinander. Siesta an der Küste Patagoniens. 

Fasziniert beobachtet Louisa das Treiben der Tiere. Wir stehen auf einer Felsenklippe über der Kolonie. Ein Männchen kommt aus dem Schatten und verscheucht mit lautem Gebrüll ein anderes Tier, das sich seinem Harem genähert hatte. „Das klingt, als ob die Seelöwen rülpsen", erklärt mein Kind ernst.

Die Küste Patagoniens ist bekannt für ihre Tierwelt. Besonders auf der Peninsula Valdés tummeln sich Pinguine, See-Elefanten und Seelöwen. Von Juli bis Dezember kommen die Wale, um sich hier zu paaren. Die Halbinsel Valdés ist 3265 qkm groß und gehört wegen der einmaligen Tierwelt zum UNESCO-Welterbe. Der Weg nach Valdéz führt an der Isla de los Pájaros vorbei, die Antoine de Saint-Exupéry in „Der kleine Prinz" beschrieben hat. „Ich weiß, Mama. Die Schlange, die einen Elefanten verschluckt hat", bestätigt mein Kind. Auf diese Insel dürfen Touristen nicht. Hier leben seltene Vögel, und nur Ornithologen mit einem entsprechenden Ausweis haben Zutritt. 

„Ein Wal, ein Wal", ruft eine Frau in unserem Bus, und alle Gäste schauen gebannt aus dem Fenster auf das Meer. Ich sehe nichts. „Wo?", will meine Tochter wissen und sagt: „Ah, da hinten, das schwarze Ding." Ich sehe immer noch nichts. „Die meisten Wale halten sich nördlicher im Golfo Nuevo auf, und eigentlich müssten sie schon wieder weg sein", wundert sich unsere Reiseleiterin. Ich wundere mich auch, denn ich sehe immer noch nichts. Dabei wird ein Schwertwal bis zu zehn Meter lang und 1000 Kilo schwer, also nicht zu übersehen. Die Glattwale werden sogar bis zu 15 Meter lang und über 35 Tonnen schwer.

Dagegen sind unsere Seelöwen, die wir in Punta Loma beobachten, winzig. Aber dick. Die Männchen wiegen rund 300 Kilogramm und sind zweieinhalb Meter groß, die Weibchen kleiner. Das Verteidigen der Seelöwenfrauen ist ein üblicher Kampf. „Seelöwenmännchen sind polygam. Sie haben in dieser Kolonie durchschnittlich zwölf Frauen", erklärt unsere Führerin. Kein Wunder, dass sie sich prustend behaupten und stolz auf ihre Vorderflossen stellen. „Seelöwen benutzen für die Fortbewegung die Vorderflossen, See-Elefanten dagegen robben", so die Erklärung.Wieder etwas gelernt. Außerdem haben See-Elefanten einen großen, aufblasbaren Rüssel und Seelöwen eine Mähne. Allerdings bei beiden Arten nur die Männchen. Die Weibchen könnten wir als Laien kaum unterscheiden. 

Mein Kind ist begeistert von den trägen Tieren. Aber nicht von Pinguinen. Angeblich sollen Kinder Pinguine mögen. Louisa fand sie schon bei unserem ersten Besuch hier in Patagonien vor zwei Jahren recht langweilig. Besonders die Magellan-Pinguine sind hier beheimatet. Sie sind kleiner als Königs- und Kaiserpinguine. „Warum können Pinguine nicht fliegen?", wollte Louisa wissen, und ich zeigte ihr die Stummelflossen, die nur zum Rudern reichen. Was wir allerdings über die kleinen Tiere erfahren haben, hat sie zumindest mir sehr sympathisch werden lassen, besonders angesichts des Schiffslebens: Pinguin-Paare bleiben sich ein Leben lang treu. Sie brüten ihre Eier abwechselnd aus und den Nachwuchs betreuen sie gemeinsam.

Wir fahren zurück nach Puerto Madryn, der kleinen Stadt mit 50.000 Einwohnern. Es ist Ferienzeit in Argentinien, und bei 35 Grad im Schatten ist der Strand gut besucht. Der Ort ist gemütlich, kleine walisische Häuser stehen neben einigen größeren Hotels. „Die Waliser waren die ersten Europäer, die hier ankamen. Sie hatten in Darwins Buch von dieser Gegend gelesen", so unsere Gästeführerin. 

Te gusta Chile?
„Te gusta Chile?", fragt die Frau im klapperigen Wag-gon auf dem Weg zum oberen Teil der Altstadt von Valparaiso. Klar gefällt uns Chile. Das Land ist doppelt so groß wie Deutschland, hat aber nur 15 Millionen Einwohner. Nachdem wir schon den kalten Süden von Chile besucht haben, sind wir nun in der nördlichen Hafenstadt Valparaiso an Land gegangen.

Dieses Mal blieben wir in Valparaiso, der Hafenstadt (280.000 Einwohner), deren Name „Paradiestal" ist. Die mehr als 30 Hügel (bis 400 Meter hoch), die das kleine Tal umschließen, sind steil und eng mit kleinen Holzhäusern bebaut. Die Altstadt wurde von der Unesco zum Kulturerbe der Menschheit erklärt. Mir war die Stadt etwas unheimlich, obwohl die Menschen freundlich waren. Fast eine Million Chilenen stammen von den Indianern ab, die meisten von den Mapuche. Die anderen sind spanischer Abstammung oder die Nachfahren von Seeleuten aus aller Welt, die in dem von Pedro de Valdivia 1542 gegründeten Hafen ankamen und blieben. Wir fuhren mit einem der Schrägaufzüge, dem Ascensor Artilleria, nach oben. Louisa hatte ihren Spaß auf der 175 m langen Strecke, die immerhin 30 Grad steil ist. Der über 100 Jahre alte Waggon ächzte und krachte, aber er kam schüttelnd in der Oberstadt an.

Der Ausblick auf die Stadt im Abendlicht, den Hafen und die „MS Amadea" war überwältigend. Neben der „Amadea" lag übrigens die „Deutschland". Das Traumschiff aus dem Fernsehen. Im Gegensatz zu unserer „Amadea" sah das Traumschiff ziemlich mickrig aus. Klein, alt, ohne Balkons. Vielleicht sollte sich das Deutsche Fernsehen mal ein neues Traumschiff suchen. Ich hätte da schon eine Idee …

Ein Taxifahrer brachte uns anschließend in das Vergnügungsviertel Valparaisos. Gern hätte ich mich mit ihm über den finsteren Putschisten Pinochet (1973 ließ er 3000 Regimegegner ermorden, war 17 Jahre lang Diktator des Landes) oder über Salvador Allende, seinen Vorgänger, unterhalten. Allende, demokratisch gewählter Marxist, galt als „Anwalt der Armen" und hatte einen gemäßigten Weg des Sozialismus erfolglos probiert. Lebte eigentlich Margot Honecker noch hier? Der Taxifahrer verstand leider nicht einmal genau, wo wir hin wollten. Letztlich fanden wir das Vergnügungsviertel, schlenderten durch einen Park mit Riesenrädern und Hüpfburgen und gingen auf Wunsch von Louisa Sushi essen. Nicht gerade chilenisch, aber mein Kind war glücklich.

Bei mir stellte sich das Glück dann wieder nachts allein an Deck ein. Nachdem die letzten neuen Passagiere an Bord gekommen waren, verließ die „MS Amadea" Valparaiso. Es war ein sanftes, ruhiges Hinausgleiten vor einer bezaubernden Kulisse. Wie die Ränge eines Theaters erhoben sich die Hügel der Stadt vor uns, beleuchtet mit Tausenden kleiner Lichter. Meiner Tochter, die schon schlief, erklärte ich die Ausfahrt am nächsten Tag so: „Es war, als ob die Beleuchtung des größten Weihnachtsbaumes der Welt ins Meer gefallen ist und in der Nacht weiter funkelte und glitzerte." Dieser Eindruck verstärkte sich, je weiter wir uns vom Festland entfernten. Warum schliefen die anderen Passagiere denn alle? Wenn hier einer müde sein müsste, dann wohl ich. Aber wie gesagt, schlafen konnte ich auch im Mai noch. 

Wo Robinson Crusoe lebte
„Mama, wie heißt der, der hier gelebt hat?" Auf dem Weg im Tenderboot zum Land erinnert sich Louisa an die Geschichte der Insel. „Robin Hood?" Ich schüttle den Kopf. „Robinson Krause?" Die anderen im Boot lachen. „Crusoe, Schatz. Robinson Crusoe hieß der Mann." 

In Wahrheit hieß er Alexander Selkirk und war schottischer Seemann. Im Jahr 1704 ließ er sich nach einem Streit mit seinem Kapitän auf dieser einsamen Insel aussetzen, vor der die „MS Amadea" heute auf Reede liegt. Juan Fernandez heißt das Archipel, dessen Hauptinsel heute früh plötzlich vor unserem Balkon lag. Es war wieder einer jener Augenblicke, über die man nicht einmal mehr staunen kann. Denn das wäre zu banal ausgedrückt. Man wacht auf, weil die Kabine von Sonne erfüllt ist. Hebt müde den Blick und sieht vom Bett aus, durch die weit geöffneten Balkontüren, einen Bilderbuch-Himmel, ein Meer wie Seide und eine Insel, die einen irgendwie inspiriert. Dann klopft es an der Tür. „Kabinenservice!" Das Frühstück, das ich vor dem Schlafen telefonisch bestellt hatte, bringt die Kellnerin auf den Balkon. Und dann sitzen wir zwei da, mein Kind und ich, essen Erdbeeren und Toast, und ich erzähle Louisa von Robinson Crusoe, während sie statt einer Buchseite die Insel direkt vor sich hat. Ist das nicht ein Wahnsinn? Lieber zukünftiger Schuldirektor meiner Tochter! Wie Sie sehen, lernt Louisa auf diesen Reisen mindestens genauso viel wie bei Ihnen in der Schule. Also geben Sie ihr zukünftig gaaaaanz viel frei. Bitte! 

Als das Tenderboot in dem kleinen Hafen hielt, sah mein Kind nur eines: Hunde. Sie vermisst ihre Dana, den Hund von Oma Ina. „Schau mal, Mama, der kleine Hund hier mag genauso gekrault werden wie Dana." Das Tier genoss die Streicheleinheiten meiner Tochter sichtlich.

Ich schaute mich um und versuchte, mich in den Seemann Alexander Selkirk zu versetzen. Wie hat er das einsame Leben auf dieser 44 qkm großen Insel (weniger als halb so groß wie Sylt) ausgehalten? Das nächste Land, Chile, ist 700 km entfernt. Jede andere bewohnte Insel im Pazifik noch viel weiter. Vier Jahre und vier Monate hat Selkirk hier allein gelebt. Dann wurde er von einem englischen Schiff an Bord genommen.  

Heute leben hier 700 Einwohner in dem einzigen Ort, Juan Bautista, in dem wir uns befinden. Es sind nette Leute, die sich sichtlich über unseren Besuch freuen. Sie leben vom Tourismus, was bedeutet: Immer mal ein Kreuzfahrtschiff und ein paar Chilenen, die von Santiago in kleinen Maschinen auf die Insel kommen.

Wir spazieren vorbei an den rund 100 Holzhäusern und klettern dann hinauf in die Berge. Ein abenteuerlicher Weg führt zu ein paar Höhlen. „Was ist hier, Mama?", will Louisa wissen. „Nichts", sage ich. „Und warum schauen sich das so viele Leute an?" Es sind natürlich andere Passagiere und Crewmitglieder mit uns zu den Höhlen unterwegs. Schließlich sind wir auf der „Amadea" insgesamt mehr Leute, als hier auf der Insel leben. Ich nehme immer gern das letzte Tenderboot zurück zum Schiff, weil die meisten anderen dann schon weg sind. Wenigstens ein bisschen Inselfeeling pur.

 

Louisa und ich schlendern ins kleine Museum und Terry, ein Inselbewohner, zeigt uns voller Stolz die vielen Bücher aus der ganzen Welt, die Daniel Defoes weltberühmten Roman von 1719, „Robinson Crusoe", beinhalten. Ich verspreche dem Museumschef, das nächste Mal (man weiß ja nie) einige deutsche Ausgaben mitzubringen.
Kaum rede ich noch mit Terry, hat sich Louisa mit ein paar Jungen aus dem Dorf angefreundet. Sie haben eine kleine Ziege an der Leine und versuchen, Louisa ein Kunststück vorzuführen. Wie so oft auf dieser Weltreise: Die Kinder verstehen gegenseitig kein Wort, aber sie verstehen sich. 

Wir spazieren weiter, und plötzlich liest Louisa ein Schild. Langsam setzt sie die Buchstaben zusammen und schüttelt den Kopf. Noch mal von vorn. Sie schüttelt wieder den Kopf. „Mama, ich hätte fast gelesen, das da auf dem Schild ‚Dresden` steht." (Hallo, Herr Schuldirektor. Wozu die erste Klasse? Sie kann doch schon lesen ...).

Also setzten wir uns auf eine kleine Bank am Meer mit Blick auf unsere „MS Amadea" und ich erzähle ihr von dem großen Weltkrieg und dem Kreuzer „Dresden", der auf dem Grund der Cumberland-Bucht liegt, auf die wir sehen.

Beim letzten Tenderboot treffen wir noch ein paar andere Genießer, die vom Langustenessen kommen. „So lang und so lecker." Sie breiten ihre Arme weit aus. Dann verlassen wir Robinson Crusoe Island. Eine schöne Insel, die von der Unesco zum Biosphärenreservat erklärt wurde. Zufrieden glätte ich meinen Rucksack. Nicht, dass Knicke in die Postkarte kommen, die ich auf der Insel gekauft habe. Schließlich ist die für den Schuldirektor ... 

Er wartete auf der Osterinsel
Er stand am Strand. Sein langes Haar wehte im Wind und sein Blick war ruhig und freundlich. Katipare hatte auf uns gewartet. Er konnte nicht wissen, dass wir kommen. Seit zwei Jahren hatte er nichts von uns gehört. Aber er wartete an der Stelle, an der er uns vor zwei Jahren von der Osterinsel verabschiedet hatte ... 

Schon bei unserem ersten Besuch gruselte es mich auf der Osterinsel etwas. Es war nicht unangenehm. Eher spannungsgeladen, eigenartig, mystisch. Diffuses Sonnenlicht, ein wenig Nebel und warmer Regen, der ohne Wolken auftaucht und wieder geht. Mal heult der Wind, dann spannende Stille. Die Osterinsel ist der Flecken Erde, der am weitesten von allen anderen bewohnten Orten entfernt ist. Wir sind von Chile (dort wird das Eiland verwaltet) 3765 km weit weg. Die Insel, die der Holländer Jacob van Roggeveen 1722 an einem Ostersonntag entdeckt hat, ist 166 qkm groß und dreieckig. An jeder Ecke steht ein Vulkan. Bis heute ist vieles aus der Geschichte der Osterinsel ein Geheimnis. Die Figuren („Das sind keine Steinfiguren, Oma. Das sind Moais", verbesserte Louisa ihre Oma am Telefon.) sind bis 20 m hoch und bis zu 250 Tonnen schwer. Es gibt viele Erklärungen und Deutungen über die Entstehung, den Sinn und den plötzlichen Abbruch der Arbeiten an den Moais. Eben mystisch. 

So wie Katipare bei unserer Ankunft vor uns stand. Nun, bei knapp 4000 Bewohnern auf der Insel konnte es auch Zufall sein. Aber es war kein Zufall. So wie es kein Zufall war, dass alle Verabredungen an diesem Tag mit Freunden zum Landgang nicht geklappt hatten. Louisa und ich haben einen nach dem anderen auf eigenartige Weise verfehlt. Sodass wir erst viel später, als alle anderen die „MS Amadea" verließen, um an Land zu gehen, und genau dann den jungen Mann trafen, der auf der Osterinsel geboren wurde, in Deutschland gelernt hatte und sich freute, uns wiederzusehen. Wie selbstverständlich nahmen wir uns ein Taxi und fuhren zu dritt zu den schönsten Plätzen der Insel. Es war eine entspannte Tour, denn wir hatten alles Wichtige schon vor zwei Jahren gesehen. Also saßen wir viel auf den Wiesen der Insel mit den schönsten Ausblicken und genossen eine sanfte Vertrautheit und das Gänsehautgefühl beim Anblick der Moais, des sich wandelnden Lichtes, der geheimnisvoll funkelnden Wellen, der plötzlich heranstürmenden wilden Pferde, der Hunde, die friedlich um uns herum liefen. Katipare erzählte Legenden von Rapa Nui, wie seine Vorfahren, die Ureinwohner, die Insel nannten. „Das bedeutet großer Flecken", erklärt Katipare. Man sagt auch Te Pito o te Henua – der Nabel der Welt. Polynesische Seefahrer sollen die ersten Menschen hier gewesen sein und waren dann jahrhundertelang isoliert.

„Unsere Ahnen beschützen uns noch heute", erklärt Katipare und deutet auf die Moais vor uns. „Jeder ist ein Portrait eines Stammeshäuptlings, der gestorben ist und nun wachsam die Insel im Blick hat." Meine Gänsehaut verstärkt sich. Stimmt, alle Moais schauen zur Inselmitte. Insgesamt gibt es rund 600 Steinfiguren auf der Insel, 400 liegen noch unfertig im Steinbruch am Hang des Vulkankraters Rano Raraku. „Warum haben die Menschen plötzlich aufgehört, die Moais weiterzubauen?", frage ich Katipare nach der Version der Ureinwohner selbst. Vor ein paar Jahren hatte ich mich einmal mit Erich von Däniken bei seinem Besuch in Dresden über die Osterinsel unterhalten. Er spekuliert, dass Außerirdische die Moais gebaut haben könnten und plötzlich abreisen mussten.
Katipare erzählt von Überbevölkerung, ausgehenden Naturressourcen und Kriegen. Apokalypse auf Rapa Nui. Die Lebensbedingungen verschlechterten sich und jeder kämpfte um sein Überleben. „Ein Stamm kippte die Moais des anderen Stammes um und zerstörte sie", so Katipare. „Als James Cook 1774 hier ankam, stand kein Moai mehr aufrecht an seinem Platz."
Louisa sitzt neben uns im Gras und lauscht Katipares Geschichten, die er mit einem harten Akzent, aber in gutem Deutsch erzählt.

Die Seefahrer brachten Viren und Keime auf die Insel, die die Bewohner nicht kannten. Viele starben an Schnupfen und anderen Krankheiten. Gab es 1722 noch etwa 20.000 Menschen auf Rapa Nui, war die Insel 150 Jahre später bis auf 100 Einwohner fast ausgestorben. Das lag auch an Sklavenhändlern und Seeleuten aus Amerika und Europa, die die Insulaner ermordeten oder verschleppten. Eine schlimme Geschichte. Vielleicht ist es auch ein Hauch des Leidens, der über der Insel liegt. Vermischt mit Hoffnung und Frieden.
„Habt ihr heute chilenische Pässe?", frage ich Katipare. Seit 1888 gehört die Osterinsel zu dem südamerikanischen Staat, aus dem wir mit der „MS Amadea" gerade kommen. Der schöne Mann erzählt, dass die Einwohner erst seit 40 Jahren eigene Ausweise haben und die Insel verlassen dürfen. „Dreimal im Jahr fliege ich in den Urlaub. Auf andere Inseln oder nach Chile", verrät er. Die Landebahn des Flughafens auf Rapa Nui übrigens ist ungewöhnlich lang, weil sie als Ausweichbahn für das Space Shuttle umgebaut wurde. Offensichtlich haben die Amerikaner die gleichen logistischen Überlegungen angestellt wie Erich von Dänikens Außerirdische. 

Auf dem Rückweg zeigt uns Katipare die Vorbereitungen für die morgigen Feierlichkeiten. Das Tapati-Fest beginnt jedes Jahr am 1. Februar mit Tänzen, Wettkämpfen und der Krönung einer Königin in einer Mondscheinzeremonie unter der Beobachtung der Moais. „Bleibt doch da", schlägt Katipare vor und weiß, dass die „MS Amadea" in einer Stunde ausläuft. Ich liebe dieses Schiff. So sicher und ruhig. Nein, vom Gänsehautfeeling habe ich genug.

Katipare küsst uns herzlich zum Abschied. „Bis in zwei Jahren spätestens", scherze ich. „Zeit spielt keine Rolle", sagt er und steht wieder an der Stelle, wo er uns entgegensah. An der Stelle, wo er uns damals verabschiedete. An der Stelle, wo er beim nächsten Mal auf uns warten wird. Er wird wissen, wann wir kommen. Als das Tenderboot mit uns ablegt, sehen wir ihn stehen, und seine langen Haare wehen im Wind. 

Die Meuterer der Bounty
Schon von Weitem sahen wir die 4,5 qkm große Insel und näherten uns langsam. Das Wetter war in den letzten Tagen sehr unterschiedlich gewesen. Sonne und Regen, blauer Himmel und Gewitter, düstere Wolken am Abend und dann wieder ein leichter, rosa Morgen. Harter Tobak für die Seele. Mit dem Wetter veränderten sich die Leute. Eben weich und nett, dann hart und grantig. Party und schwere Trägheit, Lachen und ... Na ja, ihr wisst schon.
Schon oft habe ich gesagt, die Erlebnisse dieser Weltreise wirken wie aus einem Hollywood-Film. Wahres Kino. Mal ist es ein Abenteuerfilm, manchmal hat es etwas von Science-Fiction oder einem unlösbaren Fall im Krimi, mal ist es eine Liebesgeschichte, meistens eine Satire - auf jeden Fall mit vielen Emotionen und dramatischen Situationen gewürzt. Selten war der Vergleich zum Film so gegenwärtig wie bei unserem Besuch von Pitcairn, der Insel der Nachfahren der Meuterer der Bounty ...
Wir hatten neun Tage auf See hinter uns mit kurzen Stopps auf der Robinson Crusoe Insel und der Oster-insel. Neun Tage nichts als Wasser. Der Ausschnitt vom Globus im „Amadea"-Bordfernsehen, auf dem wir immer sehen können, wo auf der Welt das Schiff gerade ist, war rein blau. Kein Land in Sicht. Für mich ist der Pazifik das schönste Meer auf der Erde. Er ist wandelbar, mit meistens über 4 km Tiefe unergründlich und trotzdem wirkt er irgendwie sanft. Selbst bei Seegang fünf ist das Meer freundlich. Wenn die Sonne scheint, ist das Wasser so blau, als wäre ein Farbtopf hineingefallen. Neun Tage Wasser, neun Tage Himmel, neun Tage Zeit für Freunde, mein Kind und mich selbst. Schön.

Nun, kurz vor Pitcairn, gab es wieder leichten Seegang und eine Dünung von der Seite. Ich schloss eine Wette ab, dass wir nicht an Land gehen könnten. Wieder nicht, denn auf unserer letzten Weltreise hatten wir auch schon vor der Bounty Bay auf Reede gelegen, ohne dass die einheimischen Tenderboote ruhig genug auf dem Wasser gewesen wären, um uns Passagiere hinüberzubringen.

Während die meisten Passagiere aufgeregt hin- und herflitzten und auf die Lautsprecherdurchsagen achteten, die regelmäßig Informationen zur Lage und zum eventuellen Landgang brachten, erzählte ich meiner Tochter einmal wieder auf dem Balkon beim Frühstück eine Geschichte. Sie kannte sie schon von unserem Besuch vor zwei Jahren, aber doppelt hält besser: „Die Bounty, ein schönes, großes Schiff, verließ 1787 in England den Hafen. Es sollte in Tahiti Samen der Brotfrucht laden und ankerte fünf Monate vor der Südseeinsel. Die Mannschaft feierte Partys an Land und viele Männer verliebten sich in die Frauen der Insel (ich formulierte es für Louisa etwas netter ...). Deswegen stritten die Chefs des Schiffes, Lt. Fletcher Christian und der Kapitän Bligh. Der Kapitän wurde mit 18 seiner Freunde in ein kleines Boot gesetzt. Sie fuhren 41 Tage über das Meer, schafften fast 4000 Seemeilen und erzählten dann den anderen Menschen, wie böse der Fletscher Christian gewesen war." Louisa saß ganz still auf meinem Schoß und lauschte. „Deswegen musste der Fletscher Christian sich verstecken und segelte mit acht anderen Männern vom Schiff und 19 Menschen aus Tahiti zu der Insel Pitcairn. Sie brachten alles an Land, was sie zum Leben brauchten, und verbrannten die Bounty, damit keiner sie entdecken konnte." Den Rest der Geschichte konnte ich ihr immer noch bei einem nächsten Besuch in ein paar Jahren erzählen. Denn Mord und Totschlag wegen Frauenmangel wäre wohl kaum die richtige Story für ein Kind gewesen. Auch nicht, dass zum Schluss nur ein einziger Mann, John Adams, übrig blieb, der mit neun Frauen und 19 Kindern zusammenlebte.


Heute ist Pitcairn englische Kolonie und untersteht dem britischen Generalkonsul in Auckland, Neuseeland. Von den 66 Einwohnern sind 52 direkte Nachkommen der Meuterer der Bounty. Liegt es an der Geschichte oder an meinem sechsten Sinn - ich mochte die Leute damals nicht und habe auch heute kein gutes Gefühl. Schon als sie unser Schiff von Weitem sehen, beladen sie die Boote mit Dingen, die sie uns verkaufen wollen, und entern die „MS Amadea". Nein, sie werden natürlich eingeladen. Damals wie heute glaube ich nicht, dass sie uns wirklich auf ihrer Insel haben wollen. Trotzdem versucht unser neuer Kapitän, den Landgang zu ermöglichen, was in einer kleinen Katastrophe endet. Die Leiter bricht ab und versinkt im Meer, zwei Besatzungsmitglieder fallen ins Wasser, die „MS Amadea" wird beschädigt und der Kapitän verletzt sich an der Hand. Sag ich doch, diese Insel hat kein gutes Omen.


Fast alle Einheimischen vom Bürgermeister bis zum Kleinkind sind auf dem Schiff. In der Atlantik-Lounge bauen sie ihren Markt auf, sie essen sich satt, konsultieren die Ärztin und sammeln Geld und Geschenke ein. Sie verkaufen Briefmarken, die bei Sammlern begehrt sind. Seit 1940 wurden nur 500 Stück herausgegeben. Sie bringen Fisch und Früchte an Bord, nehmen Fleisch und technische Ersatzteile mit. Das Prozedere ist für mich spannend zu beobachten, und ich staune, mit welcher Coolness die leitenden Köpfe der „MS Amadea" mit der Situation umgehen. Die Pitcairner können handeln, aber unsere Leute sind auch nicht schlecht.

Wie schon auf der Osterinsel treffen wir alte Bekannte. Die Nachfahren der Bounty sind zwei Jahre älter und haben sich kaum verändert. Little Joe hat eine neue Tätowierung, fällt mir auf, und ich habe sogar ein altes Foto dabei, mit dem ich es beweisen kann. Auf den ersten Blick geht auf der Insel alles seinen Gang: Zwei Stunden Strom am Morgen, vier am Abend. Die Hälfte der Einwohner heißt immer noch Christian, und der neuseeländische Lehrer in der kleinen Grundschule ist immer noch da. Zigaretten und Alkohol sind auf der Insel immer noch verboten, und alle drei Monate kommt ein Versorgungsboot.

Aber: Eine Frau, die ich noch nicht kenne, treffe ich draußen auf Deck acht am Pool. Es ist Mary, sie erzählt mir die Neuigkeiten von der Insel, die sehr schlecht sind. Sie wurde von Neuseeland nach Pitcairn geschickt, um die Justiz zu unterstützen und das Gefängnis zu leiten. Von den 66 Einwohnern sind sechs verurteilt worden, einige sitzen im Gefängnis. Die längste Strafe liegt bei sechs Jahren. Ich frage nach dem Grund. „Sexuelle Delikte. Vergewaltigung und auch Kriminalität gegen Kinder", verrät Mary leise. Ich habe eben doch einen guten Instinkt für negative Schwingungen. Es hatte insgesamt 96 Tatvorwürfe gegeben, und drei Richter aus Neuseeland waren extra wegen der Verhandlung auf die Insel gereist. Der ehemalige Bürgermeister war genauso verurteilt worden wie sein Sohn. Die Zukunft der Insel stand auf dem Spiel. Die Männer wurden für die Versorgung gebraucht und konnten auf der Insel nicht entbehrt werden. Außerdem, wie sollte die kleine Gemeinschaft nach solchen Konflikten weiter bestehen? „Es ist immer noch schwer und die Zukunft der Insel ist noch nicht sicher", erzählt mir die resolute Frau. 

Hoffen wir trotzdem, dass die Pitcairner es schaffen. Schließlich sind es die Nachfahren der Meuterer der Bounty. Ein Teil der Geschichte. Und es würde mich nicht wundern, wenn Hollywood sich schon die Rechte an der aktuellen Story von Pitcairn gesichert hätte. Eben doch wie im Film. Es gibt ja nicht nur gute.  

Strandparty in der Südsee
Diese Weltreise hatte schon viele Superlative. Immer wieder denke ich, besser kann es nicht werden. Und immer wieder gibt es noch eine Steigerung. Dieses Mal: eine Strandparty auf einer kleinen Südseeinsel - Fakarawa.
Endlich hatte die Südsee meine Farben. Der Himmel so blau wie es die Skala eines Malers nicht hergibt. Das Meer eine Vielzahl aus Türkis, Hellblau, Grün. Das Wasser so warm, dass man stundenlang darin liegen konnte, und ein Strand aus dem Bilderbuch. 

Louisa war schon am Morgen mit der Besatzung an Land gefahren und hatte beim Aufbau für die Party geholfen. Ich selbst fuhr am Mittag mit dem Tenderboot rüber und wartete mit ein paar anderen Nachzüglern an der Anlegestelle auf den Shuttle. Eine Riesenüberraschung war, als der Shuttle kein Bus war, sondern ein Range Rover, und am Steuer kein Einheimischer, sondern unser Küchenchef Rupert Kien. Fünf Leute drinnen und drei Leute hinten auf der Rampe, rumpelte das coole Auto mit dem coolen Fahrer über die coole Straße zum coolen Strand. Sorry, aber das ist das richtige Wort dafür. Echt cool.

Die Party war schon in vollem Gang. An einem einsamen Strand hatten die Leute Zelte aufgebaut und Tische. Im Sand steckten die gelben Sonnenschirme der „MS Amadea" und eine einheimische Band spielte polynesische Lieder. Damit die Party noch cooler wurde, hatte die Küchen- und Servicecrew 800 Kilo Eiswürfel zum Kühlen der Speisen und Getränke den schweren Weg zum Strand geschleppt. Außerdem hatten sechs Leute den 80 Kilo schweren Grill getragen.

Dazu 250 Kilo Ananas, 80 Kilo Mango und 250 Kilo Wassermelonen. Auch ein Riesenberg Essen war da. Der Küchenchef und sein Team, alle im legeren (sorry: coolen) Freizeitlook, hatten immerhin 3200 Scampi, 500 Hühnerkeulen, 50 Kilo Spare-Ribs und 420 Bratwürste dabei, die alle aufgegessen wurden. Ein Riesenaufwand.  

Auch die Kellner halfen beim Aufbau und Transport. Sie trugen Bermudas und T-Shirts. Ihr Arbeitsplan: eine Stunde Service, eine Stunde frei zum Baden und Schwimmen. Und so war die Party nicht nur ein Fest für die Passagiere, sondern ein wunderschöner Tag für alle.
Louisa tanzte mit Kellner Mehmet am Strand, ging mit Koch Christian schwimmen, mit dem Küchenchef schnorcheln und zeigte dem Kreuzfahrtleiter ihre Tauchkünste. Die Passagiere lagen relaxed am Strand, genossen das Essen, schwammen oder tanzten mit der Künstlergruppe. 

Fakarawa ist ein schmales Atoll und gehört zu Französisch-Polynesien, dem schönsten Teil der Südsee. Das Atoll ist von Korallen umgeben und wurde von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt. Entsprechend schwierig war es, die Genehmigung für die Party zu erlangen, und die Auflagen waren vielfältig. Unter anderem war es selbstverständlich, dass nach der Party jeglicher Müll wieder mit aufs Schiff genommen wurde bis zum letzten Krümel, und alles Mitgebrachte wieder verschwand.Wir beobachteten die Crew, wie sie nach dem Abbauen alles auf Autos und Wagen brachte und dann ganz oben auf einem kleinen LKW selbst Platz nahm. Cool.  

Als die Party zu Ende war, die Passagiere und die meisten der Besatzung verschwunden, kam meine Lieblingszeit am Tag. Eine sanfte Ruhe legte sich über den Strand. Die Verantwortlichen waren müde, aber zufrieden. Ich gratulierte zu dieser gelungenen und einmaligen Aktion. Sie stand in keinem Plan, auf keinem Programm. Die Idee hatten Kreuzfahrtleiter Christian Adlmaier und Küchenchef Rupert Kien und haben sich damit selbst viel Arbeit aufgebürdet. Wie schön ist es doch, dass es Menschen gibt, die gern andere glücklich machen. Wie schön ist es doch, dass Menschen selbst glücklich sind, weil sie andere glücklich gemacht haben. Ein echt cooler Tag. Danke.

Anja K. Fließbach