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Mein Jakobsweg

Eine außergewöhnliche Radtour auf dem Pilgerpfad

Hans-Josef Helf ist Kommunikationstrainer. Zu seinem 60. Geburtstag erfüllte er sich einen lang gehegten Wunsch. Er fuhr 16 Tage mit dem Rad den Jakobsweg entlang: 820 Kilometer von Biarritz bis Santiago de Compostela. Die Disy-Redakteure Sina Volk und Maximilian Walter trafen ihn zu einem Gespräch über Steine im Gepäck, verrückte Franzosen und abgefrorene Finger.

Warum wollten Sie pilgern?
Helf: Es gab keinen speziellen Grund. Der eine Pilger geht, um seine Trauer zu überwinden. Der nächste sucht den lieben Gott. Wieder ein anderer geht den Weg aus spirituellen Gründen. Jeder hat einen anderen Anlass. Weil ich meine eigenen Erfahrungen machen wollte, habe ich übrigens vorher kein Buch über den Jakobsweg gelesen. Einen Tag nach meinem 60. Geburtstag bin ich losgefahren.

War das der Anlass?

Helf:
Es war viel mehr der passende Zeitpunkt. Es gibt auf dem Jakobsweg eine Tradition. Zum Cruz de Ferro, einem eisernen Kreuz auf dem höchsten Punkt des Jakobswegs, bringen die Wanderer Steine mit, um sie dort abzulegen. Die Steine sind Symbole für alles - Wünsche, Trauer, was man im Leben so mit sich herumschleppt und loswerden möchte. Ich bat Freunde und Familie, dass sie mir anstelle von Geburtstagsgeschenken ihre Steine mitgeben. Zu den 13 Kilo Gepäck trug ich also noch eineinhalb Kilo Steine mit mir rum. Das Kreuz war leider erst auf dem letzten Abschnitt meiner Reise.

Sind Sie ein religiöser Mensch?
Helf:
Ich glaube an die christlichen Werte, wurde von meinen Eltern katholisch erzogen. In meiner Kindheit war ich Messdiener und Pfadfinder. Ich habe also durchaus eine Beziehung zur Kirche. Die Werte sind mir heute noch wichtig.

Was haben Sie auf dieser Reise gesucht?
Helf: Unter anderem Ruhe. Ich habe sämtliche Kommunikationswege unterbrochen. Für einen Kommunikationstrainer ist das sehr schwer. Auf meiner Reise war ich nirgendwo zu erreichen. Ich habe auch keine E-Mails gelesen, nur meiner Frau jeden Abend eine Nachricht geschickt, damit sie weiß, wo ich bin und dass es mir gut geht.

Sie sind mit dem Rad gefahren. Wieso? Und wie viele Reifen mussten Sie wechseln?
Helf: Zum Glück keinen. Ich bin kein Freund des Wanderns und Joggens. Ich wollte gern mit dem Rad fahren und habe die 820 Kilometer in 16 Tagen geschafft. Nur zu Beginn hatte ich ein Problem mit der Gangschaltung. Die musste von einem Experten repariert werden. Dummerweise war ich schon 25 Kilometer gefahren und musste den ganzen Weg zurück schieben.

Hoffentlich ging es danach besser weiter...
Helf: Von Saint Jean Pied de Port fuhr ich, noch ganz ehrgeizig, über den ersten Pass komplett mit dem Rad hoch auf 1200 Meter. Aber schnell stellte ich fest, dass es in Spanien scheinbar keine Straßen gibt, unbeschreibdie bergab gehen - zumindest in den Pyrenäen. Wenn man nur fünf bis sechs Kilometer pro Stunde fährt, kann man im Grunde gleich schieben. Da ist man genauso schnell.

Gibt es denn einen Jakobsweg speziell für Radfahrer?

Helf:
Es gibt unterwegs immer wieder Parallelwege für Radfahrer, doch nur wenige Pilger nutzen das Rad. Man besucht dieselben Orte wie die Wanderer. Auf den Radwegen fährt es sich aber wegen der vielen Berge nicht entspannter. Wenn man den ersten Pass bei strahlendem Sonnenschein erreicht hat, möchte man in der Herberge auf dem Gipfel gern bleiben. Dann sieht man auf einem Schild am Straßenrand, dass es noch 790 Kilometer bis Santiago sind. Also fährt man doch besser weiter.

Wo haben Sie unterwegs übernachtet?
Helf: Fast immer in Herbergen; ich hatte auch ein Zelt mit, das ich aber nur drei Tage benutzen konnte, weil das Wetter zu schlecht war. In den Herbergen sind immer viele Pilger. Eine der größten Herberge liegt in einer umgebauten alten Kirche in Pamplona, in der bis zu 250 Menschen übernachten. Doch in den meisten Unterkünften teilen sich 20 bis 30 Menschen einen Rraum. Für mich bemerkenswert war die Sauberkeit in den Herbergen und sanitären Räumen.

Wie war denn das Wetter während Ihrer Tour?

Helf: Die erste Zeit war es schön. Das änderte sich in den Pyrenäen jedoch drastisch. Da waren es schon mal nur fünf bis sechs Grad Celsius. Ich habe dann viele Kilometer bei strömendem Regen zurückgelegt. Das klingt unangenehm.

Wie haben Sie sich auf diese Strapazen vorbereitet?
Helf:
Ich fing Ende 2013 mit einem Arztcheck an und arbeitete dann fünf Monate ein Sportprogramm ab, das mir die Dresdner Personaltrainerin und Tanzlehrerin Dörte Freitag zusammengestellt hatte und ohne das ich die Strecke niemals geschafft hätte. Anfangs zwei bis drei Mal und am Schluss fünf Mal die Woche trainierte ich mit Freitag zusammen Muskelaufbau und Kondition und bekam zudem auch noch Hausaufgaben auf. Dabei nahm ich acht Kilo ab und mein Bauchumfang verringerte sich um zwölf Zentimeter.

„Bei der Abfahrt war es eiskalt, erst Regen, dann Schnee und Hagel. Gegenwind gab es auch, sodass ich bergab in die Pedale treten musste. Meine Fingerspitzen waren blau.“

Ist eine gezielte Vorbereitung auch Ihr Tipp für Interessierte?
Helf:
Absolut! Neben der körperlichen Fitness würde ich vor allem empfehlen, schon im Vorfeld etwas mehr Zeit bei der Reise einzupla- nen. Da ich am Anfang aufgrund der kaputten Gangschaltung erst zwei Tage später losfahren konnte, war ich sehr froh über meinen Puffer. Es ist einfach schön, irgendwo mal einen halben Tag bleiben zu können. Allein für die wunderbare Stadt Santiago de Compostela sollte man sich ruhig etwas mehr Zeit nehmen. Ich wäre gern länger als nur einen Tag geblieben, auch um meine Erlebnisse zu verarbeiten.

Was hat Sie so bewegt?

Helf:
Man trifft unfassbar viele Menschen. Untereinander sehen sich die Wanderer ständig wieder. Da ich mit dem Rad jedoch immer alle überholte, traf ich jeden Tag neue Pilger. Ich stand dann in Santiago im Pilgerbüro, um die Urkunde zu holen. Vor mir ein junges Ehepaar, das 820 Kilometer in 29 Tagen zurückgelegt hatte. Ein Stück weiter stand ein alter Mann, der plötzlich anfing zu schreien, weil drei Chinesen den Raum betraten - mit denen war er ein paar Tage vorher einen Teil des Weges zusammen gelaufen. Diese immer wiederkehrenden Begegnungen, weil alle das gleiche Ziel haben, sind toll. Stellen Sie sich vor, Sie sind dann am Sonntagmittag in Santiago und nehmen am Pilger- Gottesdienst teil. Dort dann mit allen Menschen ein gemeinsames Vaterunser zu beten und es gleichzeitig in so vielen anderen Sprachen zu hören - das ist ein erhabenes Gefühl. Da weiß man: Auch das ist ein Erlebnis, das die Strapazen der Reise rechtfertigt. Diese Verbundenheit der vielen verschiedenen Menschen ist einfach unglaublich.

Gab es einen Moment, in dem Sie aufgeben wollten?
Helf:
Ja, den gab es. Als ich kurz vor dem Cruz de Ferro war. Es waren noch zwei oder drei Kilometer bis zum Gipfel und ich war wirklich fertig. Dort gab es eine kleine Taverne. Obwohl es keine Herberge war, wollte ich dort übernachten. Die Wirtin machte mir etwas zu essen und meinte, ich solle mich nicht so anstellen, die kleine Strecke bis zum Gipfel würde ich jetzt auch noch schaffen. Das hat mir noch einmal richtig Schwung gegeben.

Wie war es dann dort oben auf dem Gipfel am Cruz del Ferro?

Helf: Das war ein großer emotionaler Moment. Ich habe die Steine der Familie und Freunde dort abgelegt. Bei der Abfahrt war es eiskalt, erst Regen, dann Schnee und Hagel. Gegenwind gab es auch, sodass ich bergab in die Pedale treten musste. Meine Fingerspitzen waren blau.

Umkehren konnten Sie nicht...
Helf: Ich habe mir dann Plastiktüten über die Finger gezogen. Unten angekommen bin ich vor die erste Pension gefahren. Die Wirtin zog mich regelrecht vor das Bad und meinte: "Dusch!" Die sah, wie es mir ging.

„Ich wollte gern mit dem Rad fahren und habe die 820 Kilometer in 16 Tagen geschafft.“

Waren die Menschen überall so freundlich?
Helf: Die Herzlichkeit der Menschen am Jakobsweg ist unbeschreiblich. Es gibt in jeder Taverne ein preiswertes Menü für Pilger, acht bis zehn Euro für drei Gänge Es steht auch immer Brot, Wasser und Rotwein auf dem Tisch. Man fühlt sich dort gut aufgehoben und versorgt.

Gab es etwas besonders Außergewöhnliches, das Sie erlebt haben?
Helf:
Ich habe einen 80-Jährigen getroffen, der vor 20 Jahren zum ersten Mal den Jakobsweg gelaufen war. Seitdem läuft er jedes Jahr. Die Kraft, die in diesem Menschen steckt, fand ich sehr beeindruckend. Und ein Franzose hatte sich selbst ein Sitzfahrrad inklusive Anhänger gebaut, mit einem Brett zur Buchablage und Halterungen für Geschirr und Zelt. Der war einfach cool und verrückt drauf und hatte sich so ein entspanntes Zuhause geschaffen für seine Pilgertour.

Wie verständigt man sich denn untereinander?

Helf:
Mit Händen und Füßen. Die Menschen kommen aus der ganzen Welt. An einem Abend saßen mir ein Italiener und ein spanisches Ehepaar gegenüber. Der Italiener sprach ein bisschen Deutsch, Englisch und Spanisch, die Spanier ein bisschen Englisch. Wir unterhielten uns, die Spanier stellten eine Frage auf Spanisch an den Italiener, der diese mir wiederum übersetzte und vice versa. Man muss auch im Leben nicht immer die Worte verstehen, um die Menschen zu verstehen.

Was haben Sie gelernt?

Helf:
Dass man seine Ziele erreicht, wenn man sie sich nur einmal gesetzt hat und sie aktiv verfolgt. Selbst, wenn man ständig Rückschläge bekommt. Der Gruß der Pilger ist "Buen Camino"! - und ich habe ihn nie traurig oder geknickt gehört. Egal, ob es regnete oder schneite. Im Vordergrund steht das Ziel, unabhängig von den Umständen oder überflüssigem Schnickschnack.

Sie haben also durch Ihre Reise auch dem Überfluss abgeschworen?
Helf: Das trifft sicherlich auf viele Menschen zu, aber ich habe mich schon vor einigen Jahren aus einer anderen Situation heraus dazu entschlossen, minimalistischer zu leben. Ich hasse es, unnötige Dinge zu kaufen. Wieso brauche ich einen fünften Anzug, wenn ich schon vier im Schrank habe? Die Muschel, der Wanderstab und das, was ich am Körper trage, reichen aus - schon seit dem Mittelalter. Die Muschel diente übrigens als Trinkgefäß. Und mehr braucht man nicht zum Leben. Festes Schuhwerk ist vielleicht heute noch sehr nützlich.

Wie ging es Ihnen nach Ihrer Rückkehr?

Helf: Man ist körperlich fertig, aber seelisch super drauf. In den ersten Tagen danach spürte ich - egal, wo ich mich hinsetzte - noch immer den Fahrradsitz. Es ist ein gutes Gefühl, es getan zu haben! Ich bin sicher, das Gefühl wird auch mein restliches Leben anhalten.

Was ist das Fazit Ihrer Reise?

Helf: Wenn ich den Wunsch habe, eine Sache zu tun, dann sollte ich diesen auch zügig in die Tat umsetzen. Erfolg hat drei Buchstaben: "T - U - N"! Es liegt immer an uns selbst, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Es gibt stets tausend Gründe, warum gerade nicht der richtige Zeitpunkt ist, um etwas zu unternehmen. Haben wir den einen Grund, es eben doch zu machen, und zwar genau jetzt - dann schaffen wir es auch!