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Erbengemeinschaft ist Schikanegemeinschaft
Familienverhältnisse mit Kindern aus unterschiedlichen Bezie- hungen führen häufig zu erbrechtlichen Auseinandersetzungen. Doch auch bei Familien, die nur eigene oder gar keine Kinder haben, lässt sich beim Testament viel falsch machen. Rechts- anwalt Franz-Georg Lauck gibt Tipps, wie Sie mit Ihrem Erbe richtig umgehen.
Das Berliner Testament wurde von Berliner Notaren zu Beginn des 20. Jahr- hunderts erfunden. In einer Zeit, in der der Blick auf Familien mit Kindern aus mehreren Beziehungen unvorstellbar war. Und wenn, um mal ein alter- tümliches Beispiel aufzugreifen, der Herr des Hauses sich etwas zu Schulden kommen lassen hat und außerhalb der Ehe einen Sohn oder eine Tochter zeugte, war was die Folge? Das nichteheliche Kind hatte weder ein Erb- noch ein Pflichtteilsrecht.
Das Berliner Testament passte also auf die damals übliche Familie. Wenn sich ein Ehemann etwas zu Schulden kommen ließ, war das kein Problem, denn dieses Kind hatte kein Erbrecht. Heutzutage ist das völlig anders. Alle Kinder haben Erbrecht. Egal ob aus erster, zweiter oder überhaupt gar keiner Ehe. Von der Seite passt das Berliner Testament nur noch auf die Familie mit gemeinsamen Kindern. Alle die von diesem „Ideal“ mit ausschließlich gemeinsamen Kin- dern abweichen, kann man nur vom Berliner Testament abraten.
„Ich sage immer, eine Erbengemeinschaft ist eine Schikanegemeinschaft. Denn der Gesetzgeber hat es so geregelt, dass in der Erbengemeinschaft alle Entscheidungen gemeinsam zu treffen sind.“
Die gesetzliche Erbfolge
Immer wenn kein Testament vorhanden ist, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Der Gesetzgeber hat die Verwandten in Ordnungen eingeteilt. Die erste Ordnung sind die Abkömmlinge des Erb- lassers, also die Kinder oder Enkelkinder. Schaut man sich so eine Idealfamilie an (Erblasser, Ehepartner und zwei Kinder), dann würde ohne Testament die gesetzliche Erbfolge eintreten. Wenn diese beiden für ihre Ehe nichts anderes vereinbart haben, dann gilt der gesetzliche Güter- stand der Zugewinngemeinschaft mit der Folge, dass hier eine Erbengemeinschaft entsteht, an der der überlebende Ehepartner mit 1/2 und die beiden Kinder mit 1/4 beteiligt sind. Übrigens hat auch ein adoptiertes Kind die gleiche rechtliche Stellung. Das ist also eine Zwei-Kind- Familie mit gesetzlicher Erbfolge.
Ein drittes Kind des Erblassers, das nicht zur Familie gehört, ist genauso erbberechtigt wie die gemeinschaftlichen Kinder. Hier entsteht also eine Erbengemeinschaft zwischen dem überle- benden Ehepartner, also im Regelfall der Witwe (Erbrecht ist übrigens Frauenrecht, denn Män- ner haben eine geringere Lebenserwartung als Frauen und diese sind auch meist die Jüngeren in der Partnerschaft), den gemeinsamen Kindern und dem Stiefkind. Auf der einen Seite haben wir also das Stiefkind und die böse Stiefmutter, um es mal mit Grimms Worten zu sagen.
Erbengemeinschaft
Ich sage immer, eine Erbengemeinschaft ist eine Schikanegemeinschaft. Denn der Gesetzgeber hat es so geregelt, dass in der Erbengemeinschaft alle Entscheidungen gemeinsam zu treffen sind. Die normalen Verwaltungsentscheidungen können mit Mehrheit getroffen werden. Eine Witwe hat dementsprechend keine Mehrheit, wenn nicht wenigstens ein einziges Kind mit- stimmt. Alle wichtigen Entscheidungen, wenn zum Beispiel im Nachlass eine Immobilie vor- handen ist und sich die Frage stellt, ob das Dach neu gedeckt wird für 20.000 Euro, können nur einstimmig entschieden werden. Wenn nur ein Kind nicht will, dann passiert auch nichts. Wenn sie jetzt mit wachem Auge durch Dresden oder Radebeul gehen und feststellen, dort ist eine alte Villa im Dornröschenschlaf, an der jahrelang nichts gemacht wurde, was schließen Sie daraus? Erbengemeinschaft! Die sind sich nicht einig.
Was folgt in der Praxis? Er hat ein Einfamilienhaus hinterlassen, das er von seinen Eltern geerbt hat. Was will die Witwe? Sie will in dem Haus wohnen bleiben. Was sagen die gemeinsamen Kinder? Diese sind vielleicht brav und sagen, wir lassen die Mutter dort in Ruhe leben. Aber das dritte Kind sagt: „Ich will Geld sehen!“. Nehmen wir an, die Wit- we sagt sich: „Was ist die Immobilie wert? 240.000 Euro, 1/6 davon sind 40.000 Euro; ich biete dem Kind einfach an, ihm seinen Erbteil für diese Summe abzukaufen.“ Diesen Vorschlag unterbreitet sie dem unehelichen Kind und fragt nach dem Einverständnis. Das dritte Kind geht darauf natürlich nicht ein und antwortet: „Angesichts der Ent- wicklung des Immobilienmarktes in Dresden in den letzten Jahren sind die Preise um 5 – 10 Prozent gestiegen und die Immobilie ist minde- stens 300.000 Euro wert. Mein Anteil davon sind 50.000 Euro. Zahle mir also bitte 50.000 Euro für meinen Erbteil. Wenn du mir nicht bis zu Datum XY gezahlt hast, werde ich Antrag auf Teilungsversteigerung stellen.“ Welchen Hintergrund hat das?
Die Erbauseinandersetzung
Der Gesetzgeber hat die Erbengemeinschaft auf Auseinandersetzung angelegt. Das heißt, jeder Miterbe hat das Recht, jederzeit die Aus- einandersetzung, also die Aufteilung der Nachlassgegenstände, zu verlangen. Das ist einfach bei Dingen, die man in Natur teilen kann, z.B. Geld oder Eier im Kühlschrank. 12.000 Euro auf dem Sparbuch? Die Witwe bekommt 6.000 Euro, die Kinder jeweils 2.000 Euro. Aber schon bei einem Auto geht das nicht. Man kann das Auto ja nicht mit einer Kettensäge teilen, denn dann ist es Schrott. Der Gesetzgeber sagt darum, dass alle Gegenstände nach den Regelungen des Pfandverkaufs zu verwerten sind. Das bedeutet, wenn man sich nicht anderweitig einigt, ist das Auto an den Gerichtsvollzieher zu übergeben. Dieser setzt einen Versteigerungstermin an, das Auto wird versteigert, der Gerichtsvollzieher vereinnahmt den Erlös, zieht seine Kosten ab und überweist den Restbetrag an die Erbengemeinschaft und das Geld ist wieder aufteilbar.
Die Teilungsversteigerung
Eine Teilungsversteigerung ist auch bei einer Immobilie möglich. Dazu reicht ein Schriftsatz ans Amtsgericht Dresden, Abteilung Zwangsver- steigerung: „Ich beabsichtige, die Erbengemeinschaft auseinander- zusetzen. Hierzu ist es erforderlich, die Immobilie zu verkaufen. Ich bitte darum, diese zu versteigen.“ Dem kann die Witwe nichts entge- gensetzen und sie ist das Haus los. Da steckt natürlich ein enormes Erpressungspotenzial dahinter. Denn die Witwe kann auf die Schnelle nichts anderes machen, als der Zahlung der 50.000 Euro nachzukom- men. Wer sich in dieser Situation als Ehemann wiederfindet, der ist meines Erachtens moralisch verpflichtet, gegenüber seiner Partnerin eine Regelung zu treffen, damit die überlebende Witwe nicht in eine solche Situation gerät, die nach Erpressung riecht.
Was gehört zum Nachlass?
Es geht im Erbfall nur um das Vermögen des Erblassers. In meinem Beispiel von oben hat der Erblasser das Haus von seinen Eltern bekommen, es ist also zu 100 Prozent seines und damit zu 100 Prozent im Nachlass. In jedem Erbfall muss zuerst geprüft werden, was überhaupt in den Nachlass fällt. Wenn die Partner jetzt eine gemeinsame Immobilie gekauft haben, dann im Nachlass von ihm der Miteigentumsanteil von 1/2. Der andere Miteigentumsanteil gehört ihr ja schon. Wenn die Immobilie jetzt 300.000 Euro wert wäre, dann wäre der Miteigentumsanteil von 125.000 Euro in seinem Nachlass. Hinzu kämen die anderen Vermögensgegenstände. Wenn jetzt dieses Ehepaar verschiedene Konten hätte, dann wären die Konten, wo er allein einge- tragen ist, in seinem Vermögen - also im Nachlass. Die Konten, bei denen sie eingetragen ist, haben mit dem Nachlass nichts zu tun, weil diese ihr gehören. Wenn die Ehepartner ein gemein- schaftliches Konto angelegt hätten und da wären 10.000 Euro im Regelfall drauf, dann würde man vermuten, dass jeder der Kontoinhaber mit 1/2 an dem jeweiligen Kontostand berechtigt ist. Das heißt, wenn jetzt in diesem Beispiel auf dem Konto 50.000 Euro wären, fallen 25.000 Euro in den Nachlass und der Rest gehört ihr. Das ist allerdings nur eine Vermutung, die auch widerlegt werden kann.
„Sie können durch ein Testament von der gesetzlichen Erbfolge abweichen. Als Otto- normalverbraucher haben Sie die Möglich- keit, ein Testament zu errichten, sobald Sie 18 Jahre alt sind.“
Um es noch ein bisschen komplizierter zu machen: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Lotto- gewinn über 250.000 Euro. Auf dem Konto, auf dem normalerweise 10.000 Euro liegen, sind plötzlich zum Zeitpunkt Ihres Todes 260.000 Euro. Vor Freude über den Lottogewinn erlei- den sie einen Herzinfarkt und sind dahin geschieden. Was ist jetzt? Jetzt wird man sagen, aus dem Zufall, dass sich der Lottogewinn am Todestag auf dem gemeinschaftlichen Konto befand, wird man nicht schließen können, dass der Lottogewinninhaber die Hälfte seiner Frau schenken wollte. Sondern dann könnten die Erben des Gewinners sagen, dass dieser Lottogewinn erst mal ausgegliedert wird und in sein Vermögen fällt. Nur der übliche Rest, der sonst auf dem Konto stand, ist zu teilen.
Anderes Beispiel: Sie, die überlebt hat, hat drei Tage vor dem Tod des Mannes eine Abfindung ihres Arbeitgebers über 50.000 Euro für ihr vorzeitiges Ausscheiden aus der Firma erhalten. Dann wird sie sagen können, auf dem Konto auf dem normalerweise 10.000 Euro stehen, sind nun 60.000 Euro, aber davon sind 50.000 Euro meine Abfindung, die wollte ich meinem Mann nicht schenken. Also kann sie gegenüber den Erben und den Pflichtteilsberechtigten sagen: „Von diesem gemeinschaftlichen Konto nehme ich die 50.000 Euro runter, denn es ist ja meine Abfindung.“ Nur der übrige Restbestand vom Konto wird geteilt. Es geht also immer nur um das Vermögen des Verstorbenen. Danach richtet sich dann die gesetzliche Erbfolge. Was den Überlebenden vor dem Todesfall schon gehört hat, hat mit dem Nachlass nichts zu tun. Das kann nicht in die Pflichtteilsberechnung hineingenommen werden.
Jetzt lassen wir Enkel auftauchen. So lange alle Kinder leben, sind die Enkel ausgeschlossen. Die näheren Verwandten schließen immer die entfernten Verwandten aus. Nur wenn Kind Nr. 1 tragischerweise vor dem Vater verstorben wäre, treten die von ihm abstammenden Enkel in sei-ne Position ein. Dann wäre das eine Erbengemeinschaft, an der auch die Enkel mit beteiligt wären.
Wann erben entfernte Verwandte?
Jetzt komme ich noch auf die anderen Erbordnungen zu sprechen. Es gibt auch noch die zweite, dritte oder vierte Ordnung. Was steckt da- hinter? Die zweite Ordnung sind die Eltern des Erblassers und die weiteren Abkömmlinge. Also Geschwister des Erblassers, Nichten und Neffen. Die können überhaupt nur etwas erben, wenn die erste Ordnung völlig leer ist. Das heißt, wenn entweder von Anfang an überhaupt keine Abkömmlinge da waren oder diese Abkömmlinge alle vorverstorben sind. Sollte die zweite Ordnung auch leer sein, ginge es in die dritte Ordnung usw.
Die Testierfreiheit
Sie können durch ein Testament von der gesetzlichen Erbfolge ab- weichen. Als Ottonormalverbraucher haben Sie die Möglichkeit, ein Testament zu errichten, sobald Sie 18 Jahre alt sind. Dann können Sie sogar ohne Mithilfe eines Notars oder einer staatlichen Einrichtung ein sog. privatschriftliches Testament errichten. Die Formvorausset- zungen sind relativ einfach. Wichtig ist, dass das Testament hand- schriftlich von vorne bis hinten niedergelegt ist, einschließlich aller Anlagen (auch lange Listen von Vermächtnisgegenständen). Das muss dann mit der optionalen Angabe von Ort und Datum unterschrieben werden. Ort und Datum war früher zwingend, jetzt ist es das nicht mehr. Das geht tatsächlich zurück auf Adolf Hitler. Der hatte 1938 ein Testament errichtet und hatte damals, als Ort und Datum noch zwingend erforderlich war, diese Angaben nicht angegeben. Da ist er von seinem Justizminister verlacht worden, er könne nicht einmal ein schriftliches Testament wirksam errichten. Dann hat er dafür gesorgt, dass die Testamentsverordnung geändert worden ist und Ort und Da- tum nur noch eine Sollvorgabe ist.
Trotzdem empfehle ich, dringend Ort und Datum anzugeben. Aus dem Errichtungsort ergibt sich möglicherweise das Recht, das anzuwenden ist. Zum Beispiel in Dresden deutsches Erbrecht, in Warschau mögli- cherweise polnisches Erbrecht. Außerdem ist auch wichtig, wann es geschrieben wurde. Ein Beispiel: Die Münchner Erbtante lebt im Pfle- geheim, hat keine Kinder aber jede Menge Nichten und Neffen, ins- gesamt 13 und jeden Sonntag kommt einer zu Besuch. Dann sagt die Erbtante: „Du bist meine Lieblingsnichte, ich setze dich zu meinem Alleinerben ein.“ Sie gibt ihr das Testament im Original. Eine Wo-che später kommt der nächste Neffe, wieder freut sich die Tante und wieder setzt sie ihn als Alleinerben ein, gibt ihm das handschriftliche Testament mit. Nach 13 Wochen waren alle da und die Erbtante stirbt. Wer ist nun wirklich Erbe geworden? Nur der, der am letzten Sonntag vor ihrem Tod da war. Daher die Wichtigkeit des Datums. Denn immer das neuere Testament hebt das ältere Testament auf, soweit es im Wi- derspruch zum neueren steht.
„Der Gesetzgeber hat die Erbengemeinschaft auf Auseinandersetzung angelegt.“
Da merken Sie, ein solches Testament ist überhaupt nicht bindend. Der Erblasser kann es sich jederzeit anders überlegen. Das heißt, wenn Sie ein Testament einer alten Dame vorfinden, wissen Sie noch gar nicht, ob Sie Erbe geworden sind. Sie müssen das Testament beim Nachlass- gericht abliefern und angeben, ob Sie sonst noch irgendetwas gefun- den haben. Die anderen Verwandten werden dann angeschrieben, ob sie vielleicht auch etwas gefunden haben. Erst, wenn das Nachlassge- richt dann festgestellt hat, dass keine weiteren Testamente vorhanden sind, bekommen Sie einen Erbschein. Dann wissen Sie zunächst, dass der Erbschein Sie als Erbe ausweist. Dann kann hinterher immer noch ein Testament gefunden werden und der Erbschein ist falsch.
Dass derjenige, der als unterschreibt, das Testament geschrieben hat, wird selten bezweifelt. Aber dass der aus freien Stücken unterschrie- ben hat und ob die Unterschrift überhaupt echt ist, wird viel häufiger in Frage gestellt. Wie kann man feststellen, wer wirklich unterschrieben hat? Das kann nur durch das Gutachten eines sachverständigen Grafo- logen erfolgen. Wenn sie nur die Unterschrift des zweiten haben, kann kein Grafologe etwas damit anfangen. Ist jedoch vor der Unterschrift eine Schriftprobe, in Form eines solchen Satzes abgeben worden, kann diese Schriftprobe dem Sachverständigen vorgelegt werden und es kann verglichen werden.