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Alters-Zittern gibt es nicht

Wieso Sie die Anzeichen für Parkinson ernst nehmen müssen

Gebückt und steif dastehen. Obwohl alles ruhig ist, zittert die Hand. Die Mimik ist eingeschlafen und regungslos. Das sind typische Anzeichen für Parkinson, eine neurodegenerative Krankheit, die vor allem im Alter auftritt. Wir sprachen mit dem Dresdner Professor Heinz Reichmann über Ursache, Symptome und mögliche Behandlungsansätze.


Wie entsteht Parkinson?

Prof. Reichmann: Im Prinzip ist Parkinson eine Krankheit, bei der die Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin gestört ist. Schuld an dieser Störung sind die so genannten Lewy-Körperchen. Ein deutscher Neuropathologe aus Berlin, Friedrich Heinrich Jakob Lewy, entdeckte, dass an einer bestimmten Stelle im Parkinsongehirn, der Substantia nigra (schwarze Substanz), viele dieser Körperchen sind. Es war jedoch nicht klar, ob das gut oder schlecht ist. Später entdeckte man eine Familie aus einem kleinen Dorf in Italien, die teilweise nach Amerika ausgewandert war. Sowohl die, die in Italien blieben, als auch die Ausgewanderten erkrankten überdurchschnittlich häufig an Parkinson. Es war somit klar, dass es einen Gendefekt geben muss. Das war vor gerade einmal 20 Jahren. Polymeropoulos, ein griechisch-amerikanischer Forscher, hat dann herausbekommen, dass diese Familie in einer Erbsubstanz, die für das Protein Alpha-Synuclein verantwortlich ist, einen Gendefekt hat.

Und wie entstehen diese Körperchen?

Prof. Reichmann: Das Alpha-Synuclein verklumpt und bildet dabei die Lewy-Körperchen. Eigentlich sind diese etwas Gutes. Die Zelle merkt, dass da böse Proteine sind. Sie baut quasi eine Mauer darum, damit sich diese nicht weiter verbreiten. So will sie die anderen Zellorganellen und auch die anderen Zellen schützen. Doch manchmal entwischt ein Körperchen und wandert durch das Gehirn. Das geht dann ganz bestimmte Wege. Damit ist die Entwicklung der Parkinsonkrankheit relativ uniform.

»Nikotin im Tabak schützt vor Parkinson. Deshalb wird auch gerade daran geforscht, Menschen mit Parkinson Nikotinpflaster zu geben.«

Finden sich diese Lewy-Körper nur im Gehirn?
Prof. Reichmann: Nein. Man hat festgestellt, dass das Alpha-Synuclein auch in den Nervenzellen des Darmtrakt ist, besonders viele bei Parkinsonpatienten. Auch in der Nase finden sich viele Toxine und Lewy-Körperchen. Wir, mein Team und ich, waren mit die ersten, die beschrieben haben, dass 90 Prozent aller Parkinson-Patienten nicht gut riechen können. Diese Eigenschaft geht dem Schütteln und der Bewegungsarmut meistens voraus. Ich habe dann die These aufgestellt, dass der Riechschleim beim Schlucken in den Magen gelangt und das Alpha-Synuclein mitbringt. Dort verklumpt es und über den Nervus vagus, den Nervenstrang der vom Magen ins Gehirn geht, gelangt es zur schwarzen Substanz. Wir haben deshalb die Theorie aufgestellt, dass bei den 95 Prozent, die keinen Gendefekt haben, die Ursache von außen in die Nase gelangt, von da in den Darm und von dort ins Gehirn wandert. Wir haben dann Versuche an Mäusen durchgeführt, bei denen wir künstlich solche Lewy-Körperchen im Darm erzeugt haben. Dann haben wir einigen den Nervus vagus durchgeschnitten. Die, bei denen wir das nicht gemacht haben, sind an Parkinson erkrankt. Die anderen nicht.

Man kann also nicht vorhersagen, wer es bekommt, sondern nur sehen, ob das Alpha-Synuclein fehlerhaft ist?

Prof. Reichmann:
Genau. Wenn man jedoch in der Familie einen Gendefekt hat, inzwischen hat man 20 Arten dieses Defekts gefunden, dann ist es schon wahrscheinlich. In Deutschland sind etwa fünf bis zehn Prozent aller Parkinsonpatienten durch einen Gendefekt krank geworden. Bei den anderen, behaupte ich, verursacht ein Gift, ein Bakterium oder ein Virus diese Verklumpungen.

An welchen Symptomen kann man Parkinson erkennen?

Prof. Reichmann: Das berühmteste Symptom ist tatsächlich das Zittern im Ruhezustand. Zittern ist eigentlich nie ein gutes Zeichen, außer man ist nervös, hat einen zu schweren Koffer getragen oder eine Schilddrüsenüberfunktion. Aber zu sagen, man sei alt und dürfe deswegen zittern, ist falsch. Deshalb gibt es auch heute noch die Situation, dass Patienten erst nach zwei Jahren kommen, weil sie es im Alter einfach für normal halten. Es gibt kein Alters-Zittern.

 

Wie gehen Sie bei Ihren Patienten vor?

Prof. Reichmann: Was ich mit meinen Patienten oft mache: Ich fordere sie auf, sich ruhig hinzustellen. Die lassen dann die Arme hängen und es passiert nichts. Nun gebe ich ihnen eine einfache Rechenaufgabe. Der Patient überlegt und in diesem Moment geht das Zittern los. Das liegt daran, dass der Patient unter Stress steht und dabei Dopamin verbraucht, was für eine normale Funktion des Armes nicht mehr zur Verfügung steht.

 

Was sind weitere Symptome?

Prof. Reichmann: Ein weiteres Problem ist eine steife Schulter. Dabei ist es immer nur eine Seite, die steif ist. Beim Spazieren gehen schwingt nur ein Arm mit. Oder die Mimik der Patienten ist eingeschlafen. Auch die Schrift ist ein Anhaltspunkt. Diese wird kleiner und krakelig. Später kommt hinzu, dass die Patienten zum Beispiel keine Entscheidungen treffen wollen. Auch die räumliche Orientierung fällt ihnen immer schwerer. Sie können zum Beispiel keine Häuser mehr malen oder eine Uhr mit der Uhrzeit 11:10 Uhr. Auch die Empathie lässt nach. Sowas kann zu enormen Spannungen in Familien führen. Deswegen wird eine ganze Familie parkinsonkrank. Wir müssen deshalb auch die Familie mit behandeln. Oft können sich die Menschen auch nicht mehr richtig freuen.

Welche Behandlungsmethoden gibt es?

Prof. Reichmann: Theoretisch braucht man ein Medikament, das verhindert, dass sich das Alpha-Synuclein zusammen klumpt. Das gibt es allerdings noch nicht. Wir behandeln die Patienten mit Medikamenten, die das Dopamin regeln oder den Rezeptoren vortäuschen, dass Dopamin da sei. Teilweise werden diese über Pumpen eingeführt. Da hat man ein Nädelchen unter seiner Bauchhaut und man bekommt ständig eine Substanz eingeführt.

 

Gibt es keine anderen Medikamente, zum Beispiel gegen das Verklumpen des Alpha-Synuclein?

Prof. Reichmann: Ja, es gibt kleine Start-Up-Firmen, die sich mit solchen Ideen beschäftigen. In Österreich sitzt so eine. Die versuchen etwas ähnliches, wie damals bei der Alzheimererkrankung, wo es übrigens nicht funktionierte. Das Ziel ist es, Antikörper gegen das Alpha-Synuclein herzustellen. Diese Antikörper sollten sich an das Protein heften und dieses somit KO legen. Dann könnte es nicht mehr mit anderen Alpha-Synuclein- Proteinen zusammen gehen. Dabei riskiert man allerdings, dass auch gesundes Alpha-Synecluin nicht mehr funktioniert. Das war auch das Problem beim Alzheimer, zusätzlich dazu, dass man beim Alzheimer mit dieser Behandlung zu spät kommt. Die Netzwerke der Zellen, die Synapsen, sind durch das Amyloid bereits zerstört und deren Entfernung also im Grunde sinnlos.

 

Welche weiteren Behandlungsmethoden gibt es?

Prof. Reichmann: Der aller letzte Schritt wäre ein Gehirnschrittmacher. Dabei wird in eine spezielle Struktur des Gehirns ein hauchdünnes Metalldrähtchen geführt. Unter dem Schlüsselbein wird zudem ein Schrittmacher angebracht und mit dem Draht verbunden. Durch den Strom wird ein Kerngebiet im Gehirn herunter reguliert. Weiche Bewegungen sind im Gehirn nur möglich, wenn gewisse Neuronenschleifen funktionieren. Bei Unterbrechungen, wie beim Parkinson, wird man steif. Dann regeln sich aber andere Zentren in dieser Schleife künstlich hoch. Wenn ich dort dann mit Hilfe so einer Sonde für Ruhe sorge, ist der Ablauf wieder harmonisch. Diese Gehirnstimulation hat den Effekt, dass man 50 Prozent der Medikamente einsparen kann. So können Patienten wieder ruhig sitzen. Wenn man zuvor jedoch mit einer medikamentösen Behandlung beginnt, ist das mindeste, was die Patienten von mir erwarten können, fünf hervorragende weitere Jahre. Zumindest, wenn sie rechtzeitig zu mir kommen.

 

Könnte man nicht einfach zusätzlich Dopamin spritzen?


Prof. Reichmann: Nein, das geht leider nicht. Sonst hätte man einen Blutdruck von Null. Nimmt man Dopamin über die Vene oder oral zu sich, geht der Blutdruck nach unten. Aber man kann etwas anderes machen. Man kann eine Vorstufe des Dopamin zum Beispiel einnehmen. Das wird dann in den restlichen, gesunden Nervenzellen in der schwarzen Substanz in Dopamin umgewandelt. Oder man bekommt ein Löchlein in den Magen und bekommt es über einen Schlauch direkt da rein. Manchmal reicht übrigens ein Regulator nicht aus und Patienten müssen viele verschiedene Medikamente nehmen.

 

Haben mehr Männer oder Frauen Parkinson?

Prof. Reichmann: Es sind rund 3/5 Männer und 2/5 Frauen, die an Parkinson erkranken. Auch hier in meiner Praxis sind es deutlich mehr Männer.

 

Liegt das daran, dass die Frauen das fehlerhafte Gen ausgleichen können?


Prof. Reichmann: Das wissen wir nicht, und es lässt sich bisher auch nicht herausfinden. Als Frau hat man zwar eine geringere Chance, an Parkinson zu erkranken, obwohl die Frauen ja älter werden. Denn das Gefährlichste ist tatsächlich, alt zu werden. Auch Nichtraucher sind tatsächlich gefährdeter. Raucher bekommen normalerweiser kein Parkinson. Denn das Nikotin im Tabak schützt vor Parkinson. Deshalb wird auch gerade daran geforscht, Menschen mit Parkinson Nikotinpflaster zu geben.