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Stilvoll Alt werden Teil 2
Würde hat Priorität
Rund ein Drittel der Dresdner ist heute über 60 Jahre alt. Viele von ihnen können all das tun. Sie genießen ihr Alter. Sie nehmen es an. Aber stilvoll alt werden? Ist Stil im Alter Luxus oder ein berechtigter Anspruch? Gilt das auch, wenn Hilfe nötig wird? Was mache ich, wenn Mutter so vergesslich wird, dass ich sie nicht guten Gewissens allein leben lassen kann? Wer versorgt den Vater nach einem Schlaganfall oder einer schweren Krankheit? Wer kümmert sich um die Nachbarin, wenn sie gestürzt ist und mit einem Oberschenkelhalsbruch zu Hause liegt? Wo gibt es Hilfe? Disy versuchte, sich dem komplexen Thema zu nähern.
ber die Situation der Dresdner Senioren weiß das Sozialamt der Landeshauptstadt am besten Bescheid. „Die Priorität liegt darauf, in Würde alt werden“, sagt Sozialbürgermeister Tobias Kogge. Das heißt, jeder Mensch kann über seine Lebensqualität selbst bestimmen und entsprechend seiner finanziellen Möglichkeiten sein Leben und seinen Lebensabend gestalten. Für Seniorinnen und Senioren bestehen vielschichtige Angebote im Bereich der von der Stadt geförderten Begegnungsstätten, in soziokulturellen Einrichtungen, in Einrichtungen des Kulturamtes, im Seniorenkino oder über Seniorenanrechte der Theater mit unterschiedlichen Ermäßigungen.
Die Stadtverwaltung bietet zur Orientierung eine Broschüre „Seniorenwegweiser – Herbstzeit“an. Die Stadtangestellten wünschen sich, dass sich die Menschen frühzeitig über die Inanspruchnahme altersgerechter Dienste und Hilfsangebote informieren. Ansonsten haben sie die Erfahrung gemacht, dass ein gesundes und aktives Leben in jungen Jahren zu einem erfüllten Leben im Alter führen kann. „Gemessen am Versorgungsauftrag der Stadt kann ich einschätzen, dass eine ausreichende Anzahl an Pfl egeplätzen zur Verfügung steht. Inwieweit die Angebote den individuellen Wünschen der Seniorinnen und Senioren entsprechen, müssen diese selbst bewerten“, so Tobias Kogge.
Ein gemütliches Zuhause, in dem Geborgenheit spürbar ist, beeinflusst die seelische und körperliche Gesundheit. Deshalb gilt selbst bei Pflegebedürftigkeit der Grundsatz „ambulant vor stationär“. Das ist sogar gesetzlich verankert (§ 13 des SGB XII). Das bestätigt Diplom Krankenschwester Martina Gommlich. Sie ist Pflegedienstleiterin beim 1994 gegründeten advita Pflegedienst. Gemeinsam mit zwölf Mitarbeiterinnen betreut und berät sie Pflegebedürftige im Dresdner Stadtgebiet: „Wir springen in der Regel sofort ein, wenn wir gebraucht werden. Wir können uns nicht leisten, dass ein Patient unversorgt zu Hause liegt und auf uns warten muss.“ Wer im einer Einrichtung der Alloheim-Senioren-Residenzen AG, in der Dresdner City unweit von Blüherpark und Großem Garten lebt, wollte oder konnte nicht mehr in den eigenen vier Wänden wohnen. Hier gibt es zurzeit ein Altenwohnheim mit 48 Plätzen und einen Pflegeheimbereich mit 96 Plätzen.
Der Eingangsbereich ist freundlich und hell. In das Restaurant zur linken und das Café zur rechten Seite kann man durch Glastüren sehen. Es riecht nicht nach Krankenhaus und lässt frühere Erinnerungen verblassen. Der Leiter des Senioren-Zentrums, Lars Weber, fragt: „Was braucht der Mensch zum Altwerden? Eher Stil oder lieber Würde?“ In seinem Haus sei die erste Prämisse, würdevoll alt zu werden und würdevoll gepfl egt zu werden. „Ein Mensch, der im Pfl egeheim wohnt, ist nicht jemand mit eingeschränkten Sinneswahrnehmungen, sondern er hat eine eigene Geschichte, die es zu achten gilt“, erläutert er. So wurde an der Zimmertür einer Bewohnerin ihr ehemaliges Firmenschild angebracht. Die ehemalige Schauspielerin leidet an Demenz, erinnert sich jedoch an viele Dinge ihres früheren Berufslebens, singt und rezitiert und ist stolz darauf, dass sie früher Sprachunterricht gab. „Stil heißt, den Menschen in seiner Geschichte in der Dimension der Zeit zu sehen“, so Lars Weber. Hört er, wenn Pflege-Personal einen Bewohner mit „Du“ anspricht oder noch schlimmer Sätze wie: „Wir gehen jetzt baden“, kontert er, ob sich die Schwester denn nun auch mit auszieht. Solche Provokation schärft die Sinne für unabdingbaren Respekt vor den alten Menschen. „Als moderne Einrichtung der Altenhilfe habe ich den gleichen Anspruch wie ein Hotel mit Vier-Sterne-Niveau“, erklärt der Leiter des Senioren-Zentrums und weiß, dass er mit seiner Mannschaft auf dem Weg dahin ist. „Das fängt damit an zu überlegen, wie sich die Handtücher oder die Bettwäsche anfühlen, wie sie riechen und heißt eigentlich nichts anderes, als dass der Gast nicht anonym ist.“ Das Konzept und die Einstellung haben sich herumgesprochen.
Das Haus, das zu DDR-Zeiten teilweise verrufen war, ist ausgebucht und Lars Weber hat eine Warteliste. „Es muss den Leuten klar sein, dass ein Platz erst frei wird, wenn jemand stirbt.“ Die Plätze für die geplante Seniorenresidenz auf dem Gelände, in der „Betreutes Wohnen auf gehobenem Niveau“ angeboten werden soll, sind bereits reserviert. Lars Weber erklärt, warum: „Die Leute haben in der Stadt gearbeitet und wollen hier wohnen bleiben. Es sind zum Beispiel Menschen aus Lehre, Wissenschaft, aus dem Handel oder aus der Kunst. Sie wollen auch nach außen zeigen, wer man ist und was man hat.“ Stil beeinflusst seiner Meinung nach so eine Entscheidung. Er legt Wert auf ein persönliches Gespräch mit allen Menschen, die in einem Bereich seines Hauses wohnen möchten.
Doch das Haus ist nicht erst im Notfall zu betreten. Den Klischees von „abgezockt und totgepflegt?“ begegnet das Senioren-Zentrum, indem es sich öffnet. „Die Leute sollen kommen und sehen, dass es hier nicht nach Urin riecht, dass nicht Leute rumsitzen, denen der Speichel aus dem Mund läuft.“ Hauseigenes Café und Restaurant sind ein Versuch, mehr zu tun, als für eine Pflegeeinrichtung üblich ist. Sie erweitern den Erlebnishorizont der Heimbewohner, ermöglichen Begegnungen von Angehörigen und alten Menschen auch außerhalb des gewohnten Pflegebereichs. Zu Computer- und Sportkursen kommen regelmäßig zahlreiche Senioren aus dem Wohngebiet in das Haus. Im Altenheim St. Clara der Nazarethschwestern e.V. in Goppeln, nahe der südlichen Dresdner Stadtgrenze, scheinen die Uhren anders zu ticken. Die auffällige Ruhe im Haus verwundert manchen Besucher.
„Wir haben keine Erklärung dafür“, sagen Schwester Magdalena, die Heimleiterin, und Schwester Theresia, die Pflegedienstleiterin, wie aus einem Munde. Das von der katholischen Ordensgemeinschaft der Nazarethschwestern betriebene Haus nimmt überwiegend christliche Menschen auf, da es hier die entsprechenden Angebote wie tägliche Gottesdienste (die auch auf den Fernseher im Zimmer übertragen werden) und Gebete sowie Sterbebegleitung gibt. Leitbild für den Dienst der Nazarethschwestern vom heiligen Franziskus, wie sie korrekt heißen, ist das Beispiel Christi, der sich besonders der Armen, Kranken und Hilfsbedürftigen angenommen und sich mit ihnen identifiziert
„Alles, was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Eine Aufnahme in das Haus ist jedoch an keine Konfession gebunden. Individuelles ist wichtig: „Die Heimbewohner werden wertgeschätzt, indem so vieles wie möglich aus ihrem früheren Leben beibehalten wird“, erklärt Schwester Theresia. So dürfen sie beim Einzug nicht nur ihre Möbel und Bilder mitbringen, sondern auch ihre Bettwäsche und ihre Handtücher. Sogar kleinere Haustiere sind willkommen, wenn sie von den Bewohnern oder ihren Angehörigen selbst versorgt werden können. Das Personal achtet darauf, dass die Senioren gut gekleidet sind, und macht bei Bedarf darauf aufmerksam, wenn die Kleidung schmutzig oder unpassend ist.
Einheitliche Weckzeiten gibt es nicht. „Wenn jemand später aufsteht, bleibt es so“, sagt Schwester Theresia. Stilvoll heißt aber auch, die Bewohner mit dem Familiennamen und mit „Sie“ anzusprechen. Ausnahmen gibt es nur auf besonderen Wunsch oder aus therapeutischen Gründen. Die Wohnbereiche sind individuell – je nach Jahreszeiten und Festen – unterschiedlich gestaltet. In einem eigenen Bereich für Demente wurden die Wände mit einem Elbdampfer, einer Bushaltestelle und einem Geburtstagskalender bemalt. Verschiedenfarbige Türeingänge sollen die Orientierung erleichtern. Eine Warteliste gibt es auch hier. „Ohne Anmeldung geht es nicht“, betont Schwester Magdalena, „doch viele wissen nicht, dass diese auch von Angehörigen unterschrieben werden kann.“
Fazit:
Es gibt Angebote für alle Bedürfnisse von Senioren in Dresden und Umgebung. Bei der Wahl kann es die einzig richtige Entscheidung nicht geben. In gesunden und aktiven Zeiten sollte man sich mit Familie und/oder Freunden Gedanken machen, was man wann unter welchen Umständen möchte, ob das finanziell realisierbar und mit der persönlichen Situation vereinbar ist. Auskunft und Hilfestellungen geben alle LeiterInnen von Senioreneinrichtungen. Die meisten Einrichtungen bieten regelmäßig Tage der offenen Tür und Beratungssprechstunden sowie offene Veranstaltungen für Senioren aus der näheren Umgebung an.