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Wie wir heute Knochen regenerieren können
Prof. Gelinsky forscht interdisziplinär am Knochen- und Gelenkaufbau
Wenn im Alter die natürlichen Selbstheilungsfähigkeiten der Knochen weiter zurück gehen, kommen moderne Therapien zum Einsatz. Prof. Gelinsky ist Experte für moderne Heilmethoden, vom Tissue Engineering bis zum künstlichen Knorpelgewebe. Wie weit ist die Forschung?
Wie weit sind Sie heute mit der Regeneration großer Knochendefekte?
Prof. Gelinsky: Bei jedem Menschen ist die "kritische" Größe eines Gewebsdefektes anders definiert. Damit meint man die Größe, ab der ein Defekt nicht mehr von alleine und nur durch ausreichende Stabilisierung ausheilen kann. Jeder weiß, dass bei Kindern und Jugendlichen Knochenbrüche meist sehr schnell heilen und zur Stabilisierung eine einfache äußere Stabilisierung ("Gips", heute fast immer Kunststoffschalen) ausreicht.
Wie ändert sich das im Alter?
Prof. Gelinsky: Natürlich nimmt mit steigendem Alter die Selbstheilungskapazität ab und kann durch Krankheiten - zum Beispiel Osteoporose - weiter reduziert werden. Ganz schlecht ist das Heilungsvermögen, wenn ein Gewebe bestrahlt worden ist, z. B. im Rahmen einer Krebstherapie. Insofern muss für jeden Patienten eine individuelle Therapie gewählt werden, in Abhängigkeit von Größe und Lokalisation des Defektes sowie Alter und eventuell Begleiterkrankungen.
Wie sehen solche individuellen Therapien aus?
Prof. Gelinsky: Für die meisten Patienten gibt es heutzutage gute und sichere Lösungen, die entweder allein metallische Stützstrukturen oder aber zusätzlich resorbierbare Knochenersatzmaterialien verwenden. Bei schwierigeren Fällen hat sich auch die Transplantation von Eigenknochen, vor allem aus dem Beckenkamm, bewährt. Es gibt aber weiterhin eine kleine Gruppe von Patienten, bei denen diese Verfahren nicht zum Erfolg führen und für die man bessere Lösungen finden muss. Das Tissue Engineering könnte eine solche Lösung bieten.
Gibt es im Knochen- und Knorpel-Tissue Engineering neue Erkenntnisse?
Prof. Gelinsky: Das Tissue Engineering (TE) entwickelt sich stetig weiter und im Labor hat man heute bereits faszinierende Möglichkeiten erreicht. Die Übertragung in die klinische Anwendung gestaltet sich aber schwierig. Das betrifft zum einen die hohen Kosten, die immer noch mit TEVerfahren verbunden sind, zum anderen Zulassungsfragen. Selbst die Verwendung körpereigener Zellen - speziell Stammzellen - wird von den Zulassungsbehörden immer kritischer gesehen, obwohl es in den Anwendungsfeldern Knochen und Knorpel bislang keine negativen Erfahrungen gab.
»Die häufigste Ursache für Gelenkversagen ist die verschleißbedingte Abnutzung des Gelenkknorpels, die Arthrose. Im Moment gibt es dafür noch keine langfristig wirksame regenerative Therapie.«
Welche Probleme gibt es denn noch mit der Methode?
Prof. Gelinsky: Zum Beispiel sind die Knorpel-TE-Konstrukte bislang mechanisch nicht belastbar genug, weswegen sie nur bei kleinen und lokal klar umgrenzten Gelenkknorpeldefekten verwendet werden können. Beim Knochen-TE steht das Problem der Blutversorgung im Mittelpunkt. Man kann im Labor zwar große Konstrukte herstellen, die enthaltenen Zellen sterben aber bald nach dem Einpflanzen in den Knochendefekt ab, da es zu lange dauert, bis vom umgebenden Gewebe her Blutgefäße einwachsen, über die das Gewebe mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird.
Welche Gelenke und Knorpel können schon mit regenerativen Methoden behandelt werden?
Prof. Gelinsky: Man muss unterscheiden zwischen dem Gelenkersatz - also der Entfernung des biologischen und der Implantation eines Kunstgelenks - und der Regeneration von geschädigtem Gewebe im Gelenkbereich mit dem Ziel der biologischen Heilung, und dem Erhalt des natürlichen Gelenks. Kunstgelenke sind inzwischen in den Industrieländern für jedes Gelenk des menschlichen Körpers verfügbar und Einbau und Funktion sind in den meisten Fällen problemlos. Allerdings halten solche Gelenkprothesen nicht endlos, sondern lockern sich oft nach vielen Jahren der Benutzung, was vor allem biomechanische Gründe hat. In einem solchen Fall muss ein neues Kunstgelenk eingesetzt werden.
Sind solche Operationen inzwischen unproblematisch?
Prof. Gelinsky: Solche Operationen sind heute tägliche Routine, bergen aber ein höheres Komplikationsrisiko als die Erstimplantation. Regenerative Therapien stehen bislang nur für lokal umgrenzte Knorpeldefekte zu Verfügung. Aus anatomischen Gründen werden sie am häufigsten im Kniegelenk angewendet, es gibt aktuell aber auch schon erste Versuche bei Hüfte und Schulter. Leider gibt es für die häufigste Ursache des Gelenkversagens, die generelle, Verschleiß-bedingte Abnutzung des Gelenkknorpels (Arthrose), im Moment noch keine langfristig wirksame regenerative Therapie.