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Volkskrankheiten am Auge
Rund 18 Millionen Deutsche sind betroffen – wo die Forschung besonders gefordert ist
Von Professor Dr. med. Horst Helbig
Die meisten von Ihnen werden beim Thema Volkskrankheiten erst einmal an Schnupfen, Asthma, Bluthochdruck oder Zuckerkrankheit denken. Aber sicher nicht an das Auge. Fakt ist jedoch: Nach Hausärzten und Gynäkologen sehen Augenärzte die meisten Patienten. Rund 32 Millionen Patientenkontakte pro Jahr leisten die rund 5 500 niedergelassenen Augenärzte.
Kurzsichtigkeit ist eine der häufigsten Volkskrankheiten – und sie wird immer häufiger. In asiatischen Ländern sind 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung betroffen, bei uns schätzen wir, dass rund ein Drittel der Bevölkerung kurzsichtig ist. Vielleicht eine tröstende Bemerkung dazu: Kurzsichtige sind intelligenter, wir werden nachher noch hören, warum. Der Graue Star, also die Trübung der Augenlinse, ist eine Veränderung, die sich mit zunehmendem Alter bei den meisten Menschen einstellt. Bei rund 90 Prozent aller über 70-Jährigen finden sich zumindest Frühformen des Grauen Stars. Wir schätzen die Häufigkeit des Grauen Stars in Deutschland auf rund zehn Millionen. Die Operation des Grauen Stars ist mit circa 700 000 Eingriffen pro Jahr in Deutschland die mit Abstand häufigste Operation. In ungefähr gleicher Häufigkeit werden intravitreale Medikamenten- Eingaben durchgeführt (zum Vergleich: Blinddarm-Operationen werden 150 000 Mal durchgeführt, Hüftprothesen circa 200 000 Mal eingesetzt). Das heißt, die beiden mit Abstand häufigsten Operationen in Deutschland sind Augenoperationen. Die altersabhängige Makuladegeneration, die häufigste Erblindungsursache in Deutschland, betrifft in Frühstadien rund 2,5 Millionen Menschen, Frühstadien des Grünen Stars (die zweithäufigste Erblindungsursache) 1,5 Millionen. An einer diabetischen Netzhauterkrankung (der häufigsten Erblindungsursache im erwerbsfähigen Alter) leiden rund 600 000 Deutsche. Laut Statistischem Bundesamt sind 357 000 Menschen in Deutschland blind beziehungsweise sehbehindert. Die Angaben schwanken je nach Definition, die Weltgesundheitsorganisation WHO geht von circa einer Million Blinder/Sehbehinderter in Deutschland aus. Mit der demografischen Entwicklung und der zu erwartenden Zunahme von älteren Menschen in unserer Bevölkerung werden diese Augenkrankheiten enorm an Häufigkeit zunehmen. In den vergangenen zwanzig Jahren hat der Versorgungsbedarf in der Augenheilkunde um circa zwanzig Prozent zugenommen. Wir gehen von einer weiteren Zunahme um zwanzig Prozent in den nächsten zwei Jahrzehnten aus. Was heißt das für die Forschung? Zum einen brauchen wir eine bessere Datengrundlage für die Häufigkeit der Augenerkrankungen und für die Abdeckung der augenärztlichen Versorgung. Die Stiftung Auge der DOG hat daher eine Stiftungsprofessur für Versorgungsforschung in der Augenheilkunde geschaffen, um diese Forschung zu stärken. Unterdessen hat die Stiftung Auge eine erste Erhebung der augenärztlichen Versorgung in Pflegeheimen vorgenommen, die zeigt, dass dort noch erheblicher Bedarf an augenärztlicher Versorgung existiert. Auf dieser Tagung haben wir je ein Symposium zur Epidemiologie und zur Versorgungsforschung in der Augenheilkunde zusammengestellt. Diese Forschung kümmert sich insbesondere darum, zu evaluieren, ob und inwieweit die Therapien, über die wir verfügen, auch tatsächlich beim betroffenen Patienten ankommen. Darüber hinaus müssen wir uns natürlich auch intensiv der Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten widmen. Im Anschluss werden Sie hören, was es bei den Volkskrankheiten Kurzsichtigkeit, Diabetes und altersabhängiger Makuladegeneration an therapeutischen Neuerungen gibt. Abschließend, als besonderes Highlight, wird Professor Eberhart Zrenner Sie über neue Therapieentwicklungen bei erblich bedingten Netzhautschäden informieren. Wir dürfen feststellen, dass die Forschung in der Augenheilkunde in den zurückliegenden hundert Jahren stets eine Vorreiterrolle in der Medizin eingenommen hat. Die Hornhaut war eines der ersten erfolgreich transplantierten Organe, Kunstlinsen im Auge eines der ersten erfolgreich künstlich ersetzten Organe. Heute sind es Gentherapie und Netzhaut-Chips, mit denen die Augenheilkunde voranschreitet.