- Dezember 10, 2021
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Für die Gastronomie ist diese Zeit ganz schlimm
Die Hamburger Wirte waren noch nie so abhängig vom Wetter, von der Politik, von einem Virus wie heute. Welche Verschiebungen wird es in der Branche geben? Das und was er aus der Krise lernte, verrät Patrick Rousseau, Inhaber der italienischen Weinbar „Tagliere e Vino“.
Wie hast Du die Corona-Zeit überstanden?
Rousseau: Es war hart. Meine Unternehmen wurden nahezu komplett auf Null gesetzt. Es gibt Dinge, die holt man nie wieder auf.
Hast Du es da bereut, Unternehmer zu sein?
Rousseau: Ich habe zehn Jahre lang durchgearbeitet und mir ein finanzielles Polster aufgebaut. Nun wurde alles zurückgesetzt. Da fragt man sich schon, ob man nicht lieber Angestellter geblieben wäre. Da hätte man den ganzen Ärger nicht gehabt. Corona war heftig und hart, da kann man nichts schönreden.
Konntest Du den Mitarbeitern helfen?
Rousseau: Ich habe alle meine Mitarbeiter in den Unternehmen zu 100 Prozent bezahlt, durchgehend. Wir haben Kurzarbeit angefordert und selbst privat auf 100 Prozent aufgestockt. In Hamburg sind die Mieten und die Kosten teuer. Das wäre mit Kurzarbeit für meine Mitarbeiter hart gewesen.
Das klingt nach einem guten Chef...
Rousseau: Ich versuche, die Unternehmen so zu führen, wie ich selbst auch geführt werden wollte. Dafür hatte ich auch keine Personalprobleme, als wir wieder öffnen konnten. In meiner Zeit als Angestellter habe ich gelernt, wie es geht - und wie es nicht geht.
In der Lockdown-Zeit habt Ihr viel Präsenz auf Instagram ausgebaut...
Rousseau: Ja, wir haben unsere Marketingbemühungen und -kosten nicht gesenkt und konnten uns gut für den Restart positionieren. Wir haben auch klassisch Postwurf-Sendungen gemacht mit Flyer für den To-Go-Verkauf. Aber die Innenstadt war zu 95 Prozent leer, eine Geisterstadt. Da ging auch durch Werbung nicht viel.
Hast Du an Aufgeben gedacht?
Rousseau: Wenn man aufhört, bricht alles zusammen. Da hängen auch die Existenzen der Mitarbeiter dran. Man hat soziale Verantwortung. Natürlich gab es Abende, wo ich gedacht habe, dass ich alles dicht mache. Aber das war immer nur ganz kurz. Ich wusste, ich muss durchhalten. Meine Frau hat mir in dieser schwierigen Zeit stets beigestanden und mich unterstützt.
Wie hast Du Kraft getankt?
Rousseau: Ich habe schon jahrelang meditiert, das hat mir auch in dieser Zeit geholfen, Bis zu dem Tag, als ich schließen musste, hatte ich die Auswirkungen von Corona unterschätzt.
Hat sich das geändert?
Rousseau: Ein Freund von mir arbeitet in einem Corona-Rehazentrum am Meer. Er ist spezialisiert auf Lungenkrankheiten. Dort sind im Moment alles junge Leute, junge kaputte Leute. Das ist erschreckend. Bei den Long Covid-Patienten geht gar nichts mehr. Schlimm! Ich nehme Corona sehr ernst und sehe sowohl die nationalen, als auch die internationalen und vor Allem die sozialen Folgen dieser dieser Pandemie.
Wie siehst Du die Zukunft?
Rousseau: Jetzt ist erst Mal die erste Party-Welle vorüber. Wie es weiter geht, weiß man nicht. Wir müssen durchhalten. Für die Gastronomie ist diese Zeit ganz schlimm. Wahrscheinlich ist es Zeit zu einem generellen Umdenken. Alte Verhaltensmuster und Denkweisen müssen abgeschafft werden.
Wie meinst Du das?
Rousseau: Man muss in der Gastronomie die Mitarbeiter überall vernünftig bezahlen. mehr auf Arbeitsrechte achten und in der Branche muss es mehr Maßnahmen gegen Schwarzgeld geben. Die Abschaffung des Bargeldes und harte Kontrollen der entsprechenden Behörden/Ämter würden wichtige Zeichen setzen.
Gibt es nach Corona eine Konsolidierungsphase in der Gastronomie?
Rousseau: Wer vorher schon angeschlagen war, hat es schon über die vergangenen Monate nicht geschafft. Wir haben eine sehr interessante Zeit. Es gibt viele neue Konzepte, viele Spezialisierungen. In Hamburg konnte man vor 10 Jahren noch keine guten Taccos essen, heute gibt es hervorragende Lokale, die sich sogar auf verschiedene geografische Regionen spezialisiert haben. Es sind junge Unternehmer, die die Zukunft gestalten. Der Standart-Italiener oder der Standart-Chinese wird nicht überleben.
Es wird ja auch alles moderner, digitalisierter...
Rousseau: Wir bekommen die Kassensicherungsverordnung. Alles wird digital. Das Finanzamt hat die Branche auf dem Kicker. Alles wird immer schwerer und das ist auch gut so. Wenig Arbeit, viel Geld? Das war einmal. Heute verdient, wer gut kalkuliert. Es reicht heute nicht mehr, ein guter Gastronom zu sein. Man muss mittlerweile auch ein guter Kaufmann sein. Es ist harte Arbeit und man kann mit einem kleinen Restaurant nicht reich werden.
Die Hamburger Corona-Regeln gelten als besonders streng. Ist das so?
Rousseau: Der Hamburger Bürgermeister ist bekannt dafür, dass er sehr vorsichtig ist. Wir hatten zum Vergleich mit Schleswig- Holstein sehr harte Regeln. Wir durften auch erst viel später öffnen als andere Bundesländer. Ich beschwere mich darüber nicht. Man muss die Chancen identifizieren, die solch eine Krise bietet und nutzen. Aber dass man so abhängig ist von der Politik und auch so abhängig vom Wetter, das ist schlimm. Wie das werden wird, wenn die Außenplätze nicht mehr genehmigt werden und wir drinnen für alles Nachweise brauchen, weiß ich nicht.
Wie ist Deine Lösung?
Rousseau: Das Letzte, was ich streichen würde, wären Marketingkosten. Das ist auch so eine Sache, die viele Gastronomen noch nicht praktizieren. Wenn weniger Umsatz da ist, muss man gerade in Marketing investieren. Aber inzwischen wird auch hier in der Gastronomie alles immer moderner. Bei jungen Gastronomen merkt man schon, wo die Reise hingeht. Die haben alle was im Köpfchen und wissen, wie man Werbung macht und das läuft auch gut. Wir haben von Anfang an Gas gegeben und das zahlt sich jetzt aus. Eine möglichst genaue Kalkulation muss heute in jedem Betrieb vorhanden sein. Digitale Lösungen können hier unterstützen.
Warum sollte man zu Euch zum Essen kommen? Was ist Euer USP?
Rousseau: Bei uns gibt es das echte Italien. Wir kommen ihm so nahe wie es in Deutschland geht. Es ist natürlich nicht zu 100 Prozent umzusetzen, weil wir höhere und andere Kosten haben. Aber wir kommen ganz nah dran. Alles, was bei uns auf den Teller kommt, beziehen wir auch aus Italien.
Was hast Du aus der Krise gelernt?
Rousseau: Wie schnell sich die Dinge ändern können und wie unbedeutend man als Bürger in Deutschland ist. Man denkt, man hat irgendwas zu melden, aber es ist nicht so. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, gute und richtige Entscheidungen unter enormem Zeitdruck zu treffen und gleichzeitig auch sehen zu müssen, wie gravierend sich schlechte Entscheidungen auswirken können.