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Das Denken hört nie auf - Interview mit Artur Fischer

Er hat ein Imperium mit Spielen, Dübeln und Baukastensystemen aufgebaut. Er hat 1000 Erfindungen zum Patent angemeldet. Nun will Artur Fischer den Anzug an den Nagel hängen und malen. Disy wollte mehr über den genialen Mann wissen. Hannelore Ohle-Schmidt hat für uns nachgefragt.
Alles begann 1948 mit einem selbst gebauten elektrischen Schalter für Webstühle. Er bestand aus Blech. Hergestellt hatte ihn der damals 28-jährige Artur Fischer, der sich in den Kopf gesetzt hatte, damit einen Gewerbebetrieb zu gründen. Dafür brauchte er Geld, 500 DM, damals ein unglaublich hoher Betrag. Eine Nachbarin aus dem Dorf lieh es ihm.

Herr Professor Fischer, Sie haben für mehr als 1000 Erfindungen weltweit fast 5800 Patente erhalten. Sind Sie extrem neugierig?
Die Neugier geht ganz sicher immer einer Idee voraus und steht an erster Stelle. Sie ist eine Form von Irrationalität. Aber auch die Freude, wenn etwas geklappt hat, ist ein wichtiger Motor. Manche Menschen behaupten, wir seien mit der Anzahl unserer Erfindungen in der Nähe von Thomas Alva Edison, was vermutlich sogar stimmt. Aber ich persönlich mag diese Zahlen nicht sehr, denn auf sie kommt es nicht an, sondern darauf, ob unsere Erfindungen eine Aufgabe erfüllen und Probleme lösen.

Gehört eine Form von Besessenheit dazu, aus einer Idee ein Produkt zu machen? Was treibt Sie immer wieder an?
Es ist vor allem der Glaube an das Produkt. Es gibt so viele Probleme, die es zu lösen gilt, bis das Kind laufen kann. Diese Widerstände kann ich nur überwinden, wenn ich davon überzeugt bin, dass das, was wir entwickeln, funktionieren wird. An erster Stelle steht immer die Frage nach dem Nutzen. Wenn ich den ganz genau kenne, glaube ich zwangsläufig an meine Erfindung. Ich quäle mich aber bestimmt nicht damit, partout etwas erfinden zu müssen. Ich sitze nicht von neun bis zehn da und erfinde. Es gibt fleißige, kluge Menschen, die sich Mühe geben und gern etwas erfinden würden, aber es gelingt ihnen einfach nicht. Mag sein, dass die Fähigkeit, etwas mit Begeisterung zu tun, auch ein wenig genetisch bedingt ist. Für mich ist es ein Geschenk, erkennen zu können, wie ich jemandem eine Freude machen oder ihm die Arbeit erleichtern kann. Erfinder zu werden, um Geld zu verdienen, ist die dümmste Idee, die man haben kann. Geld verdient man erst viel, viel später. Das ist die Crux: Es gibt ja kaum noch Menschen, die nicht in erster Linie an das Geld denken, sondern die eine Aufgabe erfüllen wollen.

Wie stark hat Sie die Nachkriegszeit mit ihren Entbehrungen und Provisorien geprägt?

Es gab damals unendlich viele Probleme, die gelöst werden mussten. Ist es nicht heute ungleich schwerer, Neues zu schaffen, das wirklich gebraucht wird?
Die Not treibt Menschen eher an, etwas zu verändern, als der Überfluss. Es gab sie damals nach dem zweiten Weltkrieg, aber es gab auch viele Menschen, die etwas anpacken wollten. Meine persönliche Geschichte ist stark geprägt durch meine Mutter, die immer offen war für meine Experimente. Und ich hatte einen wunderbaren Lehrer in Dornstetten, Dr. Fischer. Zu ihm konnte ich immer gehen. Er wusste für jedes Problem eine Lösung. Er war ein Geschenk für mich. Vielleicht kann man es sogar Fügung nennen. Vor 20 Jahren habe ich die Fischerwerke an meinen Sohn übergeben, aber trotzdem nie mit dem Entwickeln aufgehört. Entwicklung und daraus resultierende Produkte wird es zu jeder Zeit geben. Jede sinnvolle Erfi ndung erleichtert einerseits das Leben, stellt aber die Menschen zwangsläufig gleichzeitig vor neue Herausforderungen oder sogar Probleme, die gelöst werden müssen. Unsere Produkte haben immer wieder zur Entwicklung neuer Produkte geführt, denn Menschen werden immer wieder Neues brauchen, das hört nicht auf.

Bestimmt sind sie mit einigen Ideen auch gescheitert. Wie sind Sie damit umgegangen, wenn Sie nach wochenlanger Arbeit wieder von vorn anfangen mussten?
Ganz einfach: Abhaken und weiter. Es hat keinen Sinn, dem nachzutrauern. Niemals ist eine komplette Erfindung sinnlos; es sind immer einzelne Schritte oder Teile, die nicht gleich Ansporn, nach den Fehlern zu suchen. Manchmal ist es sogar besser, wenn wir eine Arbeit abbrechen, denn oft fällt mir im Schlaf oder bei einer ganz anderen Tätigkeit die Lösung ein. Aber immer habe ich die Gewissheit: „Wir schaffen das“.

Wie definieren Sie Erfolg und wie wichtig ist er für Sie?
Erfolg ist die Bestätigung für die richtige Lösung einer Aufgabe. Ein erfolgreich entwickeltes Produkt wird sich auch im Markt durchsetzen. Damit kann ich Arbeitsplätze schaffen und den Betrieb stabilisieren. Das bedeutet für mich Freude und Glück.

Die Erfolgsgeschichte der Fischerwerke begann mit dem Spreizdübel, eine gleichermaßen simple wie geniale Erfindung. Nicht viel später kamen die Baukastensysteme hinzu. Gab es einen Grund oder Anlass dafür, dass Sie mit der Entwicklung von Spielzeug begannen?
Gibt es ein Geheimnis dafür, dass in Ihrem Unternehmen immer wieder neue Ideen entstehen?
Aus unseren Produkten entwickeln sich immer wieder neue, weiter reichende Anforderungen, die wir lösen müssen und auch lösen. Ich will das mit einem Beispiel aus der Anfangszeit verdeutlichen: Nachdem wir den Dübel entwickelt hatten, entstand sehr schnell der Wunsch nach mehr. Wenn ich an einer Betonwand eine Latte befestigen will, kann ich nicht vorher die Löcher bohren und anschließend die Latte anbringen. Also musste man durch die Latte hindurch in die Wand bohren. Der Dübel für diese Technik, wir nannten sie Durchsteckmontage, musste jedoch ganz andere Eigenschaft haben als der, den wir schon hatten. Er durfte sich nicht mitdrehen und brauchte eine Bremse, damit er nicht ungewollt in das Bohrloch rutscht. Also arbeiteten wir an einer Weiterentwicklung und sie brachte ein neues Patent, das 18 Jahre lang hielt. Man erkennt daran, dass es keinen Stillstand gibt.

Herr Fischer, Sie sind jetzt 84 Jahre alt. Sie haben zwei Ehrendoktor- und einen Professorentitel. Sie erhielten als einziger Nicht-Akademiker 1991 den Werner von Siemens-Ring, Ihre Büste steht im Deutschen Museum. Gibt es etwas, das sie noch erreichen möchten?
Das alles sind Auszeichnungen, mit denen ich niemals gerechnet habe, und ich freue mich sehr darüber, dass jemand wie ich, der ja weiß, woher er kommt, in die Reihe gestellt wird mit Akademikern, die in ihrem Leben viel geleistet haben.
Diese Auszeichnungen hätte ich nicht bekommen, wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die den Mut besaßen, mich vorzuschlagen und sie mir zukommen zu lassen. Aber ich hatte auch immer ein ganzes Team von Menschen – meine Familie, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die hinter
mir gestanden haben und meine Sache zu ihrer machten. Ich habe ein sehr reiches Leben gehabt und bin dankbar für jeden Tag, den ich erleben darf. Bis jetzt habe ich mit dem Erfinden, dem Entwickeln nie aufgehört, aber ich denke, jetzt werde ich eine Phase einleiten, die ein bisschen ruhiger sein wird und sein muss. Ich möchte den Umgang mit der Technik ablösen durch den Umgang mit Papier, mit Malen. Das wird mein Leben auf eine anderen Ebene wieder neu bereichern. Es wird aber nicht mehr so anstrengend sein und so viel Engagement erfordern wie bisher.

Die Fragen stellt Hannelore Ohle-Nieschmidt.