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Wiesn-Wirt Wiggerl Hagn: "Junge Leute lassen die alten Traditionen hochleben."

Seit 60 Jahren ist Wiggerl Hagn Wiesn-Wirt des Löwenbräu Festzeltes, bewirtet täglich 8.500 Gäste und sagt: "Bei uns können Sie in den nächsten Jahren keinen Platz mehr reservieren."

 

Wie lange sind Sie schon bei der Wiesn mit dabei?

Wiggerl Hagn: Bei meiner Tochter sind es jetzt 29 Jahre, bei mir selbst werden es dieses Jahr 60 Jahre.

 

Eine Familientradition?

Stephanie Spendler: Ich bin jetzt schon die dritte Generation. Meine Großmutter hat 1950 das erste Zelt übernommen. Mein Vater hat 1955 angefangen, mitzuarbeiten. Gleich nach der Schule 1987 bin ich mit eingestiegen und bin seit 1999 gleichberechtigter Partner. Ich hoffe, dass mein Vater noch lange bei der Wiesn mitarbeiten wird, denn wir sind seit 30 Jahren ein eingespieltes Team. Auch meine zwei Söhne, die jetzt rund 20 Jahre alt sind, sind an der Gastronomie und dem Familienbetrieb interessiert. Während des Oktoberfestes arbeiten sie im Zelt mit.

 

Wie hat sich das Oktoberfest in den Jahren verändert?

Wiggerl Hagn: Das Oktoberfest verändert sich ständig. Wenn man sich die Wiesn von 1955 vor Augen hält, so ist die Veränderung gewaltig. Heute haben wir viele junge Leute, die sich eine Tracht anziehen und auf die Wiesn gehen. Sie lassen die alten Traditionen hochleben. Denn Trachten gehören zu Bayern wie das Oktoberfest.

 

Ihr Löwenbräu-Zelt ist jeden Abend ausgebucht...

Wiggerl Hagn: Ja! Wir haben 5.800 Plätze und 2.700 Plätze im Garten.

 

Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Wiggerl Hagn: Man muss die Wiesn insgesamt in einem Komplex sehen. Da sind die Marktkaufleute, die Schausteller, die Lieferanten und die Wirte. Diese Menschen bilden eine Gesamtfamilie, die das Oktoberfest veranstaltet. Unser gemeinsames Gelingen ist auch der Grund, warum das Oktoberfest bei den Leuten immer besser ankommt.

 

Wie ist die Arbeitsteilung bei Ihnen?

Wiggerl Hagn: Meine Tochter übernimmt während der Wiesn alle Aufgaben, die mit dem Gast zu tun haben. Das geht von der Bestellung bis zur Reservierung, dem Gutscheinverkauf und der Platzzuweisung. Ich dagegen mache den Aufbau, Abbau, Personal, Einkauf und Kontrolle. Mein Schwiegersohn ist auch bei uns im Betrieb und übernimmt alle finanziellen Angelegenheiten.

 

Wie lange dauern die Vorbereitungen für die Wiesn?

Stephanie Spendler: Die Vorbereitungen laufen über das ganze Jahr. Es gibt keinen Tag, an dem ich, nicht an die 100 Mails nur für die Wiesn abarbeiten muss. Und kurz vor der Eröffnung sind es sogar noch mehr. Da sind Bestellungen, Umbuchungen, Fragen zum Ablauf. Richtig stressig wird es im August, wenn der Vorverkauf anfängt und im September der Aufbau beginnt. In den 16 Tagen der Wiesn ist es nichts anderes als ein Abwickeln von all den Vorbereitungen, die man im Jahr getroffen hatte. Im Oktober räumen wir nach der Wiesn noch auf und machen uns schon Gedanken für das nächste Jahr. Ab Januar beginnen wir mit den Reservierungen.

Wiggerl Hagn: Bei mir ist es so, dass ich im Februar die Arbeitsverträge verschicke, die von Mai bis Juni zurückgeschickt werden müssen. Ich bemühe mich mir das Stammpersonal zu sichern. Insgesamt haben wir an die 400 Mitarbeiter während des Oktoberfestes. Es ist enorm wichtig ein Stammpersonal zurückgreifen zu können. Denn diese wissen wie es geht. Am ersten Tag wird das Oktoberfest um Punkt 12 Uhr eröffnet und 9.000 Gäste wollen umgehend ihre Getränke. Da braucht man Mitarbeiter, die schnell und reibungslos arbeiten.

 

Wie früh muss man bei Ihnen einen Platz reservieren?

Wiggerl Hagn: Bei uns können Sie in den nächsten Jahren keinen Platz mehr reservieren. Wir sind über Jahre ausgebucht. Natürlich kann man die Todesanzeigen lesen und dann nach dem Platz fragen. Bei uns ist es so, dass 99 Prozent unserer Gäste auch Stammgäste sind. Wenn Sie am ersten Samstag in unserem Zelt Platz nehmen würden, so würde die Person hinter Ihnen auch schon letztes Jahr da gesessen haben sowie die letzten fünf Jahre auch. Das gilt auch für die Bedienungen an den Tischen.

 

Ist das nicht positiv?

Wiggerl Hagn: Für einen Wirt ist es schwierig, den Leuten schon im Januar zu sagen, dass für sie kein Platz mehr frei ist. Im normalen Stadtgeschäft kämpfen wir über das Jahr um jeden Kunden. Bei jedem Gast sind wir bemüht, ihn zu halten und zu überzeugen, wieder zu kommen. Auf der Wiesn ist es genau umgekehrt. Da müssen wir die Anfragenden bitten, nicht mehr zu kommen.

Stephanie Spendler: Wobei man da auch unterscheiden muss. Wir haben die Abendgäste, die über all die Jahre gleich geblieben sind. Als ich vor 29 Jahren angefangen hatte, habe ich rund 300 Stammgäste von meinem Vater mit übernommen. Diese kommen immer noch. Zum anderen haben wir die Mittagstische, wo wir schon einen ständigen Wechsel haben. Der Mittagsgast bekommt bei uns die Möglichkeit, Montag bis Freitag einen Platz zu ergattern. Diese Plätze sind sehr begehrt.

 

Was ist denn der älteste Stammtisch bei Ihnen?

Wiggerl Hagn: Also der älteste Stammtisch, dass ist der Hörnle-Stammtisch. Da gibt es eigentlich nur noch einen der Gründer, welcher seit 1950 an jedem zweiten Tag auf der Wiesn ist. Er sitzt immer am selben Tisch. In all der Zeit hat er vier Wirte überlebt und an die zehn Bedienungen. Seine Kinder und Enkel werden die Tradition aber ganz im Sinne ihrer Vorväter weiterführen.

Stephanie Spendler: Wir haben auch viele Stammtische, wo die Leute jeden Tag kommen. Gerade einige Firmen buchen einen oder zwei Tische über den gesamten Zeitraum. Für uns ist das schön. Jeden Abend machen wir eine ausgedehnte Begrüßungsrunde und schauen, wo wir dieselben Leute antreffen.

 

Wie sieht Ihre Speisekarte aus?

Wiggerl Hagn: Da muss ich festhalten, dass die Wiesn zu einer wahren Gourmet-Wiesn sich entwickelt hat, jedenfalls was die Qualität der Speisen angeht. Früher hatte es nur ein Händl, Schweinswürstl oder Schweinsbraten gegeben und heute haben wir auf der Speisekarte Hirsch, Filet-Gulasch, Wiener Schnitzel. Jeden Tag haben wir ein Gericht zum Mittag für unsere Stammgäste. Wir kochen wie in einem Sterne-Restaurant. Das Brathändl ist natürlich weiterhin der Renner. Die Hühner werden extra für die Wiesn gezüchtet. Sie werden frisch geliefert, nicht tiefgefroren. Da merkt der Gast, welche Qualitätsansprüche wir an unsere Speisen haben. Ein weiterer Faktor für die Frische ist, dass einfach auch sehr viel verkauft wird und gar nicht erst liegen bleibt. Wenn ein Gast Spanferkel bei uns um 21 Uhr abends essen möchte, kann er sicher davon ausgehen, dass diese zwei Stunden zuvor noch nicht fertig ist.

 

Gibt es bestimmte Trends bei den Trachten?

Wiggerl Hagn: Ich erinnere mich an Zeiten, wo es man als Bayer "geoutet" wurde, wenn man eine Tracht angezogen hatte. Da sind die Leute mit raushängenden Hemden, Jeans und Schlabbern auf die Wiesn gegangen. Die Zeiten sind eindeutig vorbei. Über einige Jahre gab es sowas wie die Landhausmode, die angesagt war. Diese war zwar übertrieben, aber stark angelehnt an die bayrischen Trachten. Heute sieht man sehr viele Herren in den kurzen oder knielangen Lederhosen und die Damen in langen oder halblangen Dirndln. Die Einstellung der Menschen hat sich gewaltig zum Positiven verändert. Sie stehen mittlerweile zu alten Traditionen.