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Auf dem Meer zu hause
Ein Tag mit den Fischern Markus Davids und Uwe Lund auf der „Seehund“
Um sechs geht's los, und wir können nicht warten", haben die Fischer gesagt, mit denen ich verabredet bin.
5.30 Uhr. Ich bin aufgeregt, denn zum Fischen wollte ich schon immer mal mit. Aber mir wird auch langsam mulmig. Was, wenn ich seekrank werde, was, wenn mir die Fische leid tun ...? Als ich vor zwei Tagen recht leichtfertig und spontan die beiden Männer auf ihrem Schiff eher zufällig fragte, ob ich mit rausfahren kann, hatte ich nicht wirklich damit gerechnet, dass es klappen könnte. Aber nun ist es so weit, und ich springe an Bord der "Seehund". Es fängt an zu dämmern, als wir zwischen den Molen die beiden Leuchttürme passieren und aufs offene Meer zusteuern. Und schon fängt es auch an zu schaukeln. Es geht, aber es lässt sich nicht ignorieren. Ich habe extra nichts gegessen. Nicht lange, dann verringert Markus die Fahrt, und das Fischen beginnt. Da ich nicht weiß, was jetzt losgeht, stehe ich etwas im Weg, als er die erste Stange, an der das Netz beginnt, an Bord holt. Dann geht er wieder ans Steuer, während Uwe anfängt, die Netze über eine Rollvorrichtung am Bug der "Seehund" einzuholen. Das Schaukeln des Schiffes ist jetzt viel stärker, da wir ganz langsam fahren, und schon nach wenigen Sekunden schwappt die erste eiskalte Welle über die Reling. Ich bin bis zum Knie nass. Ein Blick auf die Uhr. Erst um sieben. Wie soll ich das bis zur geplanten Rückkehr aushalten? Uwe pult die Fische aus dem Netz, wirft sie nach rechts und stapelt links das Netz. So geht es weiter, mein Zeitgefühl habe ich längst verloren. Die Männer wechseln sich ab, tuckern weiter, holen Netze ein, pulen Fische raus ... von einer Stange zur nächsten. Endlich geht die Sonne auf ,und schon fühlt sich alles besser an. In rosa-blau-violetten Tönen steigt sie über dem Festland auf und macht Hoffnung auf Besserung. Denn in diesem Augenblick habe ich mein erstes Unwohlsein und befürchte das Schlimmste. Zum Glück habe ich mich schnell wieder im Griff. Ich will nicht, dass die beiden etwas merken. Zum Trockenwerden gehe ich in die Kajüte, da ist es warm. Vom Steuersessel aus kann ich auch alles sehen. Markus gibt mir trockene Socken. Durch das Schaukeln werde ich müde, schlafe ein wenig. Als ich wach werde, hat sich nichts geändert. Markus steht, halb zur Tür rausgelehnt am Steuer und Uwe kümmert sich um die Fische. Den ganzen Vormittag, bis Mittag oder länger, ich weiß es nicht. Es sind immerhin zwölf Kilometer Netz - und das dauert. Ich schaue eine Weile aus der Kajüte zu, stehe dann eine Weile direkt neben den großen Gummirollen, dann oben am Bug - dort ist es am besten. Ich genieße diese Zeit weniger wegen des Fischens, sondern wegen der angenehmen Unterhaltung mit Uwe, der Aussicht auf den Horizont und die Sonne, die inzwischen kräftig scheint. Ich habe schon mehrere Schichten meiner Kleidung abgelegt und auch wieder trockene Schuhe und Hosen.
Als sich nun Berge von Netzen und Fischen auf dem 15-Meter-Kutter häufen, geht es ans Ausnehmen und Sortieren. Jetzt komme ich an den Punkt, der mich schon vorher ängstigte. Alle Fische werden aufgeschnitten, und plötzlich wird aus dem noch romantischen Fischeranblick eine recht blutige Angelegenheit. Die Innereien werfen die beiden gleich über Bord, sodass wir von einer kreischenden, wild umherschwirrenden Möwenschar umgeben sind. Die ausgenommenen Fische sind überall. Schollen, Lachs, Dorsch. Auch viele Krebse, aber die werden zerbrochen, um sie aus dem Netz zu bekommen, und gleich wieder über Bord geworfen. "Die will keiner", so Markus. Während die Fischer alles ausnehmen, in verschiedene Plastikkisten und -wannen sortieren und mit einem großen Wasserschlauch alles wieder sauber machen, nimmt das Boot per Selbststeueranlage Kurs auf die nächsten Fischgründe.
Quer über die Mecklenburger Bucht, vorbei an Rostock, fahren wir Richtung Markgrafenheide. Hier heißt es wieder: Netze auslegen. Aufgrund von Tipps anderer Kollegen, ihrer eigenen Erfahrung - schließlich fischen sie seit ihrer Kindheit - und ihrem Echolot erwarten die beiden einen guten Fang. An der richtigen Stelle angekommen, beginnt wieder das Netze auslegen. Die Gummirollen werden entfernt, dafür zwei große Führungen für das Netz an der Reling aufgebaut. Und nun geht das Ganze rückwärts. Zuerst nimmt Uwe eine Stange, an der das Netz mit schweren Metallschäkeln befestigt ist, und wirft sie über Bord. Sie bleiben im Wasser stehen, und eine bunte Fahne markiert den Punkt. Meter für Meter läuft das Netz durch die Führungen zurück ins Meer. Der Kutter wird langsam wieder leer, Stange für Stange wird gesetzt und deren Position notiert, damit die Fischer sie später wiederfinden. Auch das dauert. Ich schaue wieder eine Weile von meinen verschiedenen Beobachtungspunkten aus zu. Gegessen habe ich immer noch nichts, schon von einem Schluck Wasser wird mir übel. Ich bin müde und schläfrig durch das Schaukeln, dass jetzt wieder stärker ist, weil wir so langsam fahren. Es ist schon Nachmittag, weit nach zwei, eigentlich sollten wir längst zurück sein. "Es wird noch zwei Stunden dauern", informiert mich Markus. Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, denn ich finde meinen Fischtag nach wie vor interessant. Eben nur etwas lang. Ich freue mich, dass die beiden mir einen Einblick in ihren Alltag geben. Sie wohnen übrigens die meiste Zeit auf ihrer "Seehund". Markus erbte den Kutter von seinem Vater. Der fischte selbst schon auf dem Schiff. Dieses Leben ist nur schwer vorstellbar. In Maasholm, in Schleswig-Holstein, haben die beiden jungen Männer zwar noch eine Wohnung, aber sie leben meist in Warnemünde am Alten Strom. Hier verdienen sie ihr Geld als zwei der wenigen selbstständigen Fischer. Ihren Fang verkaufen sie an die Fischereigenossenschaft. Heute haben sie ca. 400 Euro verdient. "Auch wenn das viel klingt, wir haben trotzdem zu kämpfen. Wir können nicht jeden Tag rausfahren, und manchmal fangen wir deutlich weniger. Die Lizenzen sind auch nicht billig", so Markus. "Aber ich würde trotzdem niemals etwas anderes machen wollen."
Punkt 18 Uhr setzen mich die beiden im Alten Strom ab, also nach zwölf Stunden. Ein Knochenjob. Etwas abwesend und voller Respekt vor dem Leben der beiden Fischer bedanke ich mich für alles, überlasse ihnen mein unangerührtes Lunchpaket, und wir wünschen uns gegenseitig alles Gute. Zum Abschied laden sie mich zu einem kleinen Kurzen ein. Wie gerädert, aber glücklich, springe ich auf den Steg und schaue den beiden nach, als sie am anderen Ufer des Stroms festmachen, sozusagen, nach Hause kommen.