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Ich wollte einen Laden voller Beifall
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Uwe Herrmann, Modeschöpfer und Designer der Debütantinnen-Kleider
Sie sind in Dresden mittlerweile sehr bekannt. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Herrmann: Erfolg als solche gibt es nicht. Ein Autoschlosser hat genauso viel Erfolg wie eine Köchin. Erfolg ist eine Platitüde. Jeder, der seinen Beruf liebt und auslebt, hat auch Spaß dran und ist erfolgreich. Dieser Erfolg ist aber nur befristet.
Was sind Ihre Hauptaufgaben?
Herrmann: Ich stehe nicht im Laden, dafür habe ich die Mitarbeiter. Ich entwerfe und designe, fahre auf Messen und Shows, fertige Sachen für Film und Fernsehen. Der Laden ist mein „Baby“, welcher von mir und meinen Mitarbeitern bestückt wird.
Woher holen Sie sich die Inspirationen für Ihre Designs?
Herrmann: Das kann man nicht genau definieren. Die Ideen für meine Kleider fallen mir einfach ein. Es geschieht nie vorsätzlich. Es gibt Wochen, wo mir überhaupt nichts einfällt. Der Mensch ist ein biopsychologisches, soziales Wesen und keineswegs eine Maschine, die sich steuern lassen kann. Wahre Inspiration überkommt einen in einem Moment, wo alle äußeren Faktoren stimmen und man für neue Ideen empfänglich ist. Neue Einflüsse kommen immer durch Begegnungen.
Sehen Sie sich als Trendsetter?
Herrmann: Auf keinen Fall! Ein richtiger Trendsetter ist einer in der Neustadt, der wie ein Punker aussieht oder Jemand, der komplett unangepasst ist. Trendsetter sind Sonderlinge. Was ich mache, ist Mode. Das bedeutet, dass meine Mode in den Alltag passt und theoretisch schon veraltet ist. Junge Mädels, die sich einen Spaß machen, Manga-Outfits zu nähen, sind Trendsetterinnen. Wir befriedigen nur Bedürfnisse und Eitelkeit.
Färbt Ihr Beruf auch auf Ihr Privatleben ab?
Herrmann: Zuhause sieht man mich meisten im Gewächshaus, in Jeans und Gummi- Stiefel gekleidet, mit einem Spaten in der Hand. Oder ich bin auf meinem Boot und bringe gerade meinen kleinen See in Ordnung.
Haben Sie Haustiere?
Herrmann: Klar! Katzen, Enten, Hühner, das komplette Programm. Ich bin ja ein Bauernjunge, dass darf man nicht vergessen. Ich bin zwar in der Stadt groß geworden, habe aber lange Zeit meiner Kindheit und Jugend auf dem Bauernhof zugebracht. Für mich ist es eine hervorragende Art zu entschleunigen. Im Prinzip ist es genau das, was man braucht, um keinen Burnout zu bekommen.
Nehmen Sie sich jeden Tag Zeit, um Ihre Akkus aufzuladen?
Herrmann: Zeit ist relativ. Für mich ist schon eine Stunde viel Zeit. Eine Stunde auf dem See zu sein, ist für mich so viel Erholung, wie für andere eine ganze Woche. Wenn ich im Ausland unterwegs bin, habe ich oft halbe Tage, die ich für mich nutzen kann. Das ist für mich auch wie eine ganze Woche Erholung. Zeit ist etwas Beschränktes. Manchmal denke ich sogar, dass ich mit meiner wenigen Zeit doch mehr Zeit habe als eine berufstätige Mutter.
Gibt es in Ihrem Leben Genussrituale?
Herrmann: Ja! Ich genieße manchmal, nicht zu reden. Obwohl man sich das bei mir schwer vorstellen kann.
Sie haben über Jahre hinweg sehr viele Menschen für den SemperOpernball eingekleidet. Dabei viele VIPs...
Herrmann: Der SemperOpernball hatte mal als ein kleiner Provinzball angefangen und ist mittlerweile zu dem bedeutendsten Ball in Deutschland geworden. Er tut Dresden gut in einer Zeit, wo die Umsätze in der Gastronomie und Hotellerie schlecht sind. Der SemperOpernball ist besonders. Alle ringsum gehen pleite. Der SemperOpernball dagegen ist immer ausverkauft. Man muss sich die Frage stellen, warum dies so ist. Nicht nur das Haus ist gut, sondern auch das Konzept. Dresden ist bunt geworden. Dresden ist zwar Provinz, aber eine sehr gemütliche Provinz. Die Menschen in München zum Beispiel haben darüber gesprochen, wie verrückt die Dresdner sein müssten, bei Minus-Graden zu Tausenden draußen mitzumachen. Ich kenne keine andere Veranstaltung mit solchem Programm.
Tanzen Sie auch?
Herrmann: Wenn die Kameras nicht laufen, tanze ich schon. Ich sitze ja in der Jury und achte auf die Ausstrahlung und die Bewegungen der Menschen. Ich selbst muss aber sagen, dass ich beim Tanzen etwas steif bin.
Von all der Prominenz, die Sie eingekleidet haben, wer gehört davon zu Ihrem Freundeskreis?
Herrmann: Da gibt es drei Gruppen. Da sind zum einen die sogenannten „Y“-Promis, die ganz wichtig sein wollen. Das sind die Menschen, die Allüren haben und sich denken, das sie sonst wer sind. Manchmal sind die Bekleider der Promis in der Beziehung noch viel schlimmer, als die Promis selber. Die richtigen Promis machen dies jeden Tag und sind sehr professionell. Man ist mit denen auf Augenhöhe. Sie wissen, dass wir mit dafür verantwortlich sind, dass sie an dem Tag das sind, was sie sein wollen. Es gibt ein Paar Bekanntschaften, Beziehungen, wo man eingeladen wird, sich findet und austauscht. Man ist dabei abseits des roten Teppichs. Wenn der eine oder andere Bekannte mal in Dresden ist, sind sie oft am Wochenende auf meinem Bauernhof. Es sind keine direkten Freundschaften, sondern ein erholsames Miteinander. Freundschaften sind für mich etwas, wo ich für die Person sofort ins Wasser springen und mein Leben dafür riskieren würde.
Wie lange sind Sie im Geschäft?
Herrmann: Ich hatte 1981 meine erste Fashion-Show in der Weber-Gasse hier in Dresden. Jetzt steht dort die Altmarkt- Galerie. Im Vorprogramm sang Dorit Gäbler. Wir haben damals die neueste Jugendmode der DDR gezeigt, zusammen mit dem Jugendmodekollektiv.
Haben Sie damals schon ahnen können, wohin es sich entwickeln wird?
Herrmann: Das war damals nicht mein Weg. Mein Weg war der Hochleistungssport. Ich dachte, dass ich dort kleben bleibe, aber mein Ziel war es, auf irgendeinem Bauernhof abzutauchen und Tiere zu züchten. Mode war nie mein Hauptziel.
Was hat dazu geführt, dass Sie diesen Weg doch genommen haben?
Herrmann: Die Tierschützer werden es nicht gerne hören, aber es waren Kürschner-Sachen. Ich habe mit einer Hütte auf dem Striezelmarkt angefangen und habe meine eigenen Kreationen verkauft. Damals ging es mir nicht ums Geld. Ich hatte Spaß. Ich hatte Kaninchen-Felle für sehr wenig Geld aufgekauft, hatte sie färben lassen und zu Kleinartikeln verarbeitet. Damals hielt ich es für gerechtfertigt, heute würde ich es nicht mehr machen.
Haben Sie so gemerkt, dass Kreativität belohnt wird?
Herrmann: Ja, und das sich die Kasse davon füllt. Im Sommer konnte ich die Kürschner-Ware nicht verkaufen und musste mir was überlegen, um die Zeit zu überbrücken. Ich erinnerte mich an meine Mode-Zeiten und beschloss Braut- und Abendmode zu gestalten. Ich wusste, dass bei den Fashion-Events der Beifall dann kommt, wenn zum Schluss das Brautkleid gezeigt wird. Daher hatte ich die Idee, einen Laden voller Beifall aufzumachen. So nahm alles seinen Lauf.
Wie viele Kleidungsstücke sind in Ihrem Laden?
Herrmann: Insgesamt haben wir hier rund 3.500 Brautkleider und nochmals so viele Abendkleider. Nicht jedes ist ein Unikat, wir haben auch Serien dabei und wir produzieren nicht alles selbst. Wir kaufen sehr viel zu. Allerdings haben wir bei den Zukäufen auch ein Mitspracherecht in der Kollektion.
Ihr Sohn arbeitet bei Ihnen im Geschäft mit. Können Sie sich vorstellen, dass er irgendwann in Ihre Fußstapfen tritt?
Herrmann: Ja. Er wollte eigentlich nie in den Modebereich gehen. In der Jugend hatte er eine Ausbildung im Bereich Mikroelektronik gemacht und organisierte nebenbei Veranstaltungen. Die Veranstaltungen macht er immer noch mit sehr viel Erfolg. Irgendwann passte es bei ihm nicht mehr mit seinem Beruf. Also fing er bei mir im Laden an. Er übernahm die Festmoden-Abteilung. Da er schon immer mit mir unterwegs war, hatte er es im Blut. Mittlerweile macht er mir schon fast Angst, da ich merke, dass er in manchen Sachen besser ist als ich.
Werden Sie irgendwann nur beratend im Unternehmen tätig sein?
Herrmann: Nein! Das hat einen Grund. Das, was wir heute sehen, wird es in zehn Jahren in der Form nicht mehr geben. Der globale Markt verändert sich. Internet und Einzelhandel werden sich komplett umstrukturieren. Das heißt, dass wir uns in Zukunft in der Produktion und dem Direktverkauf befinden werden. Wir werden ein völlig anderes Verkaufskonzept haben, welches europäisch und größer gedacht ist. Wir werden eine völlig andere Zielgruppe bedienen als heute.
Das heißt, Herrmann-Mode wird man in ganz Europa kaufen können?
Herrmann: Das kann man heute schon. Was sich ändern wird, ist die Struktur. Das Internet hat unsere Welt verändert. Auch ich bestelle mittlerweile sehr viel im Internet, auch wenn ich es nicht mag und auch nicht möchte. Man erwischt sich dabei, kurze Wege zu gehen. Das beste Beispiel ist meine Mutter. Als ich ihr damals mein erstes Handy gezeigt habe, meinte Sie, keins zu benötigen. Jetzt hat Sie zwei Handys, welche Sie auch bedienen kann. Die Welt verändert sich so schnell, so dynamisch, dass wir in zehn Jahren gewiss sein können, in der Form nicht mehr zu existieren. Damit meine ich besonders den Bereich Handel, Genuss und Event. Ich habe in den USA einen Drucker gesehen, welcher Textilien drucken kann. Wenn man die technische Entwicklung sieht, so habe ich vielleicht in ein Paar Jahren eine Druckerstation unten stehen, wo sich die Damen am PC das Kleid und das Garn aussuchen können. Bei dem ausgedruckten Kleid kann die Kundin auch direkt auf Gestaltungsmöglichkeiten eingehen. Die Materialien sind hochwertig.
Hat das Internet Ihr Leben verändert?
Herrmann: Ich finde das Internet ganz schrecklich. Von der anderen Seite liebe ich es. Den globalen Medien gehört die Zukunft. Die Welt wird immer kleiner. Der Chinese kann innerhalb von wenigen Stunden genauso ein Geschäft abwickeln, wie ich in China Meißner Porzellan verkaufen kann. Die Mentalität und der Akt des Verkaufs an sich wird sich komplett verändern. Das kleine Geschäft, welches auf der Königsstraße selber näht, wird bestehen bleiben. Dort wird auf den Kunden individuell eingegangen. Der Kunde sieht, wie sein Produkt entsteht. Dort spielt der Preis keine Rolle.
Wie wird sich die Masse verhalten?
Herrmann: Die Masse der Kunden wird etwas Besonderes haben wollen für wenig Geld. Die hohe Mechanisierung und der Ausbeutungsgrad machen dies möglich. Auch Dresden wird es beeinflussen. Die Kundinnen, welche früher 600 Euro für ein Kleid ausgegeben haben, werden dann nur 300 Euro ausgeben wollen. Das bedeutet, man muss viele Kunden zu bezahlbaren Preisen mit etwas Besonderem zufrieden stellen, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Wie soll das funktionieren?
Herrmann: Wenn ich mir die kleinen Orte, wie Bischofswerda oder Kamenz anschaue, bin ich nicht verwundert, dass es dort keine Brautgeschäfte gibt. Die körperliche Arbeit ist in den heutigen Produktionsprozessen das teuerste. Durch die Mechanisierung wird diese immer weiter minimiert. Ich glaube, der komplette Handel befindet sich in einer Phase, wo es drei Schritte vor geht und fünf wieder zurück. Dennoch denken wir, dass wir vorwärts schreiten. Unsere Verkaufskultur wir schlimmer sein als im 17. Jahrhundert.
Werden Sie das Individuelle in Ihrem Beruf nicht vermissen?
Herrmann: Wenn eine Frau ein Kleid bei mir individuell anfertigen möchte, zeichne ich es ihr direkt hier vor Ort. Die meisten Frauen heutzutage halten das Geld zusammen und überlegen sich ganz genau, ob sie sich was individuell fertigen lassen oder es „von der Stange“ kaufen, da es eh nur wenig getragen wird. Meistens gewinnt das Zweite. Es ist schlimm, aber es ist so.
Klingt das resignierend?
Herrmann: Was mir auf der Seele liegt, ist die Beobachtung, dass es auf der ganzen Welt brennt. Ich bin sehr viel im Ausland unterwegs. Ich stelle mir oft die Frage, wo die Ursache und Wirkung für die Krisen in der Welt liegen. Es passt zwar nicht in das Textilgeschäft, beschäftigt einen trotzdem. Ob es nun der Asiate, Afrikaner oder Amerikaner ist, alle haben das gleiche Problem. Alle wollen gut leben und für ihre Familien sorgen können. Es gibt zigtausende Menschen auf der Welt, die uns das Leben vermiesen. Das beschäftigt mich sehr stark. Speziell in Europa, sitzen sehr viele Versager in parlamentarischen Gremien. Wir brauchen junge Menschen mit einem globalen Denken, die im Europa-Parlament sitzen und gemeinsam Konzepte für Europa und die Welt entwickeln. Dabei ist es wichtig, nicht nur an Wachstum zu denken, sondern auch nachhaltig zu handeln.
Was wüschen Sie sich?
Herrmann: Ich wünsche mir, dass wir irgendwann alle in Wohlstand leben können. Das ist ein Spruch eines alten Mannes, auch wenn ich mich nicht alt fühle. Gerade durch die DDR und die Wende habe ich gelernt, sich nicht verschaukeln zu lassen und sich seine eigene Meinung zu bilden. Jeder sollte sich als einen Teil der Gemeinschaft sehen. Deswegen sind Wahlen so wichtig. Auch wenn man keinen Kandidaten hat, den man wählen würde, geht man trotzdem hin und gibt seinen Schein ab. Das Schlimmste ist, wenn die Leute nicht wählen gehen und danach jammern.
Haben Sie eine Idee für eine Lösung?
Herrmann: Ich habe einen Freund in Russland. Wir haben zusammen studiert. Mittlerweile ist er mehrfacher Millionär und hat keine Relationen mehr zum System und zum Wohlstand. Als ich ihn besuchte, ging ich allein durch die Straßen spazieren, normal gekleidet, ohne aufzufallen. Man kommt sehr leicht ins Gespräch, wenn man etwas Russisch kann und den Google-Übersetzer dabei hat. Mir wurde sehr schnell klar, dass wir alle gleich sind auf dieser Welt und wir es einfach nicht sehen wollen. Jeder versucht sich in den Mittelpunkt zu spielen. Es ist mir unerklärlich, wie man so viel Geld in sinnlose Dinge steckt, wenn man doch damit viel Gutes tun kann.
Gibt es etwas, was Sie das Leben gelehrt hat?
Herrmann: Wichtig ist, dass man sich treu bleibt und sich nicht unter Wert verkauft. Man sollte versuchen, sein Leben so zu leben, dass man nicht im letzten Augenblick versucht, alles nachzuholen. Es sind schlaue Worte, an die ich mich selbst auch nur zur Hälfte halte.
Was würden Sie in Ihrem Leben noch ändern wollen?
Herrmann: Ich würde einen ganzen Monat lang was ändern wollen. Ich würde gern an einem Ort mit Sonne, Strand und Meer, mit meinen besten Freunden eine Zeitreise machen wollen, um sich daran zu erinnern, was für Idioten oder Gewinner wir früher waren. Ich bin der Meinung, dass kluge Menschen immer neue Fehler machen und dumme Menschen immer wieder die gleichen. Auch ich war in meinem Leben nicht immer der Klügste.